Mittwoch, 21. Juni 2017

Alles ist wie immer - und doch auch wieder ganz anders ....2





 Das Leben läuft am besten, wenn es einen Austausch zwischen bewußter Ruheund sinnvoller Aktiviät gibt

Nun sind wir seit fast einer Woche in Calla und manchmal fragen wir uns, wo die Zeit bleibt und wir gefühlt doch schon viel länger hier in Irland sind.
 Ich lese gerade einen Satz, der vielleicht die Situation viel besser beschreibt, als ich dies kann: 

...."Gib deinen Sinnen eine Überdosis:  verlasse deinen Kopf, spüre deinen Körper, saug alles, was die begegnet in dich auf..
Tanze jenseits der Brandung
Joan Anderson
Spaziergang am Meer



Vielleicht ist dies das Rezept, das Calla für uns bereithält. Den Sinnen Raum zu geben, den Kopf klar zu bekommen - die Sorgen, die Ängste, all das, was uns in Berlin täglich bewegt, berührt und besorgt macht - für diesen kostbaren Moment, den wir hier verbringen, hinter uns zu lassen.

 Die letzten Wochen waren ausgesprochen trocken, was wir dem Garten ansehen - er ist zweigeteilt:  einige Pflanzen scheinen die Trockenheit geradezu zu lieben und entwickeltn sich prächtig, wie die Hecken, die üppig blühen, der Salbei, der zum Busch geworden ist, die Rose, die blüht und voller neuer Knospen ist und es haben sich ¨Inseln¨ neuer Margariten gebildet - diese früh blühenden, die jetzt die Straßenränder säumen!  Das ist wirklich schön und sie stehen nun nach wenigen Tagen im frisch gemähten Gras - unbehelligt! 



 Die ¨Attraktion¨ für Hans-Jürgen in den ersten Tagen ist der brandneue Strimmer, mit dem er nun selbst Hand an die Wiesen ums Haus anlegen möchte.  Wir haben - ohene Matie - niemanden mehr, der mäht und wollen versuchen, ob wir diesen Job nicht vielleicht aus den Jobs herausnehmen können :) Erst einmal mußte dieses neue und unbekannte Instrument zusammengesetzt werden, woran Hans-Jürgen einen Tag lang arbeitete, während ich mich dem ersten Unkrauf im Kies zuwendete..  Gegen Abend und einem hilfreichen Besuch bei Mattie, dann der Durchbruch:  Der Strimmer funktioniert und beherzt wird ins Gras gemäht :)  ein strahlendes Männergesicht erscheint vor dem Fenster, denn die Lautstärke hat mich ins Haus flüchten lassen!


Die gelbe Iris ist in den Wiesen und Feldern und Senken um uns herum die dominierende Pflanze.Die Tiere scheinen sie alle zu verschonen, denn auf der Kuhweide vor dem Haus und auf den Schafweiden steht sie in Büschen im abgefressenen Gras!


Die kleinen Schäfchen sind gewachsen und viele neue hinzugekommen! Vorgestern haben sie sich hier auf die Weide getraut, auf der zur Zeit keine Kühe sind und wir haben das Schauspiel mit viel Freude beobachtet, wissend, dass ihre Anwesenheit auf dieser Wiese sicherlich nur kurz  geduldet sein würde... Und richtig:  am späteren Nachmittag koommt unser Nachbar mit dem Stock, den er mal zum Gehen und mal zum Vertreiben der Tiere nutzt, in langen Schritten durch dieses schwer zu begehbare, unwegsame Gelände und wirft sogar mit Steinen nach der sich schnell gebildeten Herde!   Er treibt sie vor sich her - mit dem Stock wedelnd und rufend und schafft es tatsächlich, sie auf die ihnen zugestammte Wiese zurück zu treiben!
Wir bewundern die ¨ Eleganz¨, mit der er sich hier auf den Weiden bewegt.. Wir selbst sinken ein, stolpern und fluchen beim Versuch, unten an den See zu gelangen.  Er überwindet diesen Weg völlig mühelos!
 
Tanze jenseits der Brandung
Stelle dich deinen Ängsten
Verlass dich auf deine Stärken
Sei immer bereit, Herausforderungen anzunehmen
Wachse über dich hinaus

Joan Anderson




27.05.2017

Wieder sind einige Tage ins Land gegangen. Inzwischen ist Hans-Jürgen ein Jahr älter geworden und Astrid ist gekommen, um einige Tage mit uns zu verbringen.


 Das Wetter spielt wundervoll mit in diesen Tagen! 



"Verlass dich auf deine Stärken
....¨ Du musst du dich auf dich selbst verlassen und wissen, dass du mit allem fertig werden kannst. Bring vor allem ein wenig Humor in die Verzweiflung. Leichtigkeit, Phantasie, Flexibiltät..¨"
 J. Anderson

 Ich nehme seit 3 Tagen Antibiotika und sinne darüber nach, weshalb ich hier krank geworden bin.  bisher bin ich mir eine Antwort schuldig geblieben :)
Ich möchte Letzteres aber nutzen, um mich einem Moment dem irischen Gesundheitswesen zuzuwenden, das im Zusammenhang mit dem Arztbesuch einmal verstörend und einmal angenehm überrascht daher kam.
Über die Praxis habe ich bereits erzählt und erspare mir weiteres.  Erwähnen aber möchte ich das volle Wartezimmer, denn diese Erfahrung habe ich bei den beiden letzten Arztbesuchen nicht gemacht. Das Betreten eines Wartezimmers in Berlin ist das Betreten eines Ruheraumes:  als hinge irgendwo ein Schild: ¨Reden verboten¨ -  oder ¨Schweigen erwünscht¨...  Hier sind die ca. 5 Erwachsenen und 4 minderjährigen Patienten in ständigem Dialog.  Es werden - zum Glück - nicht nur die Krankengeschichten ausgetaucht (ob man sich in Irland auch so gerne über seiner Krankheiten unterhält, weiss ich bislang nicht). Hier jedenfalls sind die Thmen (soweit ich es verstehe) vielfältig und die Kinder werden einbezogen.  Das fällt besonders auf;  nach dem Schulweg gefragt, der Erfahrung in der Schule und sie sind auskunftsfreudig.
Eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern, beide offenbar fiebrig mit roten Backen und weinerlich, wir hier schon einmal ausgiebig beraten!
Die Männer vertiefen sich in ihre Smartphones und sind weniger gesprächig, aber freundlich. Nach und nach lichten sich die Stühle und schließlich komme ich zu einer jungen, schwangeren Ärztin, die - wie ich - Gabriel(l)e heißt :)

Ich schildere ihr meine Symptome (alles vorher aus dem Internet ins Englische übersetzt) und bitte sie, da ich Verlauf und auch Behandlung bereits kenne, einen Bluttest durchzuführen, anhand dessen wir die Entzündungswerte analysieren und entscheiden können, ob ich Antibiotika nehmen sollte, oder nicht.
Sie fragt, untersucht (gründlich) und nimmt mir Blut ab. Auf meine Frage, wann ich denn /am nächsten Tag/ ein Ergebnis erfahren könne, sieht sie mich ungläubig an:  ¨We will have the result in one week to ten days¨...Ich bin völlig von der Rolle!  Warum dann die Blutabnahme, wenn ich auf keinen Fall (sollte die vermutete Diagnose zutreffen) mehr als einen weiteren Tag abwarten düfe!!  Sie hat keine Antwort und empfieht mit dem Beginn der Antibiotikaeinnahme noch am gleichen Tag!!!
Sprachlos verlasse ich die Praxis  und möchte mir die Konsequenz dieses Erlebten überhaupt nicht ausmalen!  Wozu um alles in der Welt werden diese Tests gemacht, wenn nicht - möglichst umgehend -  zu erfahren, woran dieser Patient leidet - vor allem nicht, wenn es sich um einen Akutfall wie bei mir handelt!
Der Besuch der Apotheke wird dann aber so etwas wie eine kleine Entschädigung, um mich nicht völlig desillusioniert zurückzulassen:   Hier werden nämlich die beiden Antibiotika, die ich nun eine Woche lang einnehmen muß, genau abgezählt in einem kleinen Döschen (ohne Beibackzettel allerdings!) überreicht. Das dauert zwar einen Moment länger als üblich, aber grundsätzlich begeistert mich, dass mit Medikamenten offenbar sehr viel ¨geiziger¨ oder besser sorgfältiger umgegangen wird, als bei uns.  Hierdürfte die Rückgabe nicht eingenommener Medizin um einiges reduzierter sein als bei uns, wo sich im Schrank die Schachteln türmen!
Ob mich nun mein Blutbild - längst nach der Behandlung - noch interessiert, werde ich sehen. Sicherlich bin ich froh, wenn ich die Antibiotika angeschlagen haben und ich mich nicht weiter mit dem Thema ¨Krankheit¨ beschäftigen muß!!


Bild:  Dee Nickerson - Letting go

Dienstag, 20. Juni 2017

Alles ist wie immer - und doch auch wieder ganz anders ....



 Diary Juni 2017
 


24.05.2017

Es wird Zeit, mich endlich ans Schreiben zu machen, bevor die Erinnerungen an diese ersten Tage verblassen.

Wenn wir meinen, dass sich die Dinge hier einfach nur wiederholen, so haben uns bereits jetzt einige schöne Eindrücke vom Gegenteil überzeugt :)
Aber der Reihe nach.


Dublin empfing uns mit milden Temperaturen und einer doch ganz anderen Luft, als wir sie in Berlin gerade verlassen hatten. Die Tage vor der Abreise waren sommerlich warm und ich begann bereits unter den Temperaturen zu leiden!  Hans nahm sein erstes Bad in der Dahme und sah dem Abschied mit ein wenig Wehmut entgegen:  der Garten im Mai ist wunderschön.  Gerade hatte die Glycinie zu blühen begonnen - seine Geburtstagsblüte, in deren Genuß er tatsächlich kaum mehr kommt, seit wir um diese Zeit bereits fliegen!  Aber das Wissen, dass auch hier (s)ein Garten auf ihn wartet - so ganz anders, wild und kaum bezähmbar, lies auch ihn voller Vorfreude und Erwartung sein.

Dublin ist nicht von den Erinnerungen an Florian zu trennen!  Diesmal hatten wir unseren Besuch bei Kevin im Grosvenor Square  angekündigt und das Wissen um ihn an diesem Ort, verändert ein wenig das Gefühl, das beklemmende Gefühl, das sich sofort einstellt, wenn wir in die Halle treten und die erwartungsvollen Blicke der Abholenden dort sehen - die über uns hinweg gehen... Dieser Schmerz vergeht nicht - auch nicht nach all den Jahren!


Den Weg nach Rathmines kennen wir zwischenzeitlich ganz gut und wenn wir in die Rathmines Road einfahren, machen sich die inneren Bilder auf den Weg, überschwemmen mein Herz und das Atmen wird schwerer... Dies ist wirklich ¨Flori-Land¨!  Die Orte tragen seine Spuren: ¨Seine Bank¨, ¨sein Supermarkt¨, ¨sein Video-Store¨, der nicht mehr ist..  Wir biegen auf den Square ein und halten Ausschau nach der No. 50 - die noch immer kein Schild hat.. Kevins Fenster ist geschlossen aber er öffnet schnell, als wir klingeln. Schön, ihn zu sehen! Ein anderes Ankommen.. Wir werden mit Lebendigkeit und mit mit Freude begrüßt und sind nicht mehr nur am Ort des Sterbens von Florian.... ¨ You go up and I wait for you¨... Und weg ist er in seiner kleinen Wohnung im Erdgeschoß..

Wir haben Blumen aus dem Garten mitgebracht:  Maiglöckchen und eine kleine (elektrische) Kerze, die sicherlich einige Tage brennen wird... Ein laminiertes Gedicht mit einem Foto...




I cannot say, and I will not say
that he is dead – he is just away.
With a cheery smile, and a wave of the hand
he has wandered into an unknown land
and left us dreaming how very fair
it needs must be, since he lingers there.
And you, oh you, who the wildest yearn
for the old time step and the glad return
Think of him fairing on, as dear
in the love of there as the love of here:

Think of him still as the same I say
He is not dead, he is just away!


 


Dann sitzen wir auf den weichen Stufen der Treppe, lassen den Blick über diesen Ort schweifen, jeder in seinen Gedanken und dem Versuch, das Unfassbare, was hier geschah, aufzunehmen.. Es sperrt sich mein Herz und eine Schwere erfasst mich, die ich an diesem Tag nicht mehr verliere.
Warum, Florian, warum.... Es ist keine Frage mehr... Die Anwort ist er uns schuldig geblieben seit fast 17 Jahren und wir mußten lernen, ohne sie zu weiterzuleben!


Wir lösen uns im Wissen, dass wir wiederkommen können und werden und noch einen langen Weg vor uns haben und ein wenig Zeit auch mit Kevin verbringen wollen...  Bye my love....Unten am Spiegel in der "hall" hängen die Fotos, die Kevin gesammelt hat.. Alle gehen täglich dort vorbei.. das ist so bewegend und schön, zu wissen!



Als ich am Telefonunterhalb der Treppe vorbeigehe, von dem aus Florian anrief und wo auch ich ihn anrief, irgendwer abnahm und ihn dann holte, nehme ich spontan den Hörer ab und in mir entsteht ein kleines Glücksgefühl, weil die Erinnerung an diese wichtigen, meist kurzen Telefonate  plötzlich ganz nah ist….



Kevin hat frischen Tee aufgebrüht und einen kleinen Imbiss mit Gurken, Cheddar + Salsa vorbereitet.. Er selbst macht sich eine Dose Bier auf, die er in kleinen Schlucken und nicht hastig trinkt, während wir erzählen oder besser zuhören!  Kevin hat sein Examen bestanden und einen sehr guten Job gefunden. Er ist voller Erwartung, beginnt in der kommenden Woche. Die Unterhaltung plätschert leicht und wir lachen zusammen und sitzen am großen, geöffneten Fenster, vor dem in Blumenkästen seine Tulpen und Narzissen jegliches Leben verloren haben :)
Er ist wirklich liebenswert speziell und das gefällt uns sehr gut und paßt zu uns und zu diesem Ort...  ¨ You look good and happy¨... Allein dieser Satz, nachdem wir die Treppe herabgestiegen sind, würde überall meinen Protest hervorgerufen haben - nicht hier nicht bei ihm!

Er verspricht uns beim Abschied nicht, dass er beim nächsten Mal noch in dieser kleinen Wohnung sein wird... Aber wir hoffen es!

......¨Man muß sich an alles erinnern, an die Höhen und die Tiefen. Wirf sie nicht in den Papierkorb, nur weil der Augenblick vorbei ist. Das sind Schätze, die du für den Rest deines Lebens trägst. Sie sind dazu gedacht, um deinen Hals zu hängen. Während du die einzelnen Perlen streichst, kannst du dir sagen: ja, ich erinnere mich¨.....

Die folgenden Fotos von seiner neuen Wohnung schickte mir Florian 1999 ... 


Und er selbst schckte mir damals das Foto DER TREPPE, auf der er nur wenige Monate später sein Leben verlies.... 


Stairway to Heaven