Mittwoch, 7. Oktober 2020

Calla im Corona-Jahr 2020 - Teil 2 -

 

 TO COME HOME TO YOURSELF


May all that is unforgiven in you,
Be released.

May your fears yield
Their deepest tranquilities.

May all that is unlived in you,
Blossom into a future,
Graced with love.

John O' Donohue
 
 

Aber vor Calla lag Dublin! Im Jahr 20 nach Florians Tod war es uns ein großes Bedürfnis ihn im Grosvenor Square zu besuchen.  Ich rief Tom, den Hausbesitzer,  an und hörte seine Freude, dass wir kommen. Er würde vor dem Haus auf uns warten. ¨ It is twenty years!¨ Wie schön, dass er sich erinnert und weiß!

 


Die Warnungen vor dem Flug stellten sich als übertrieben heraus. Selten hatten wir einen so entspannten Flug, was die Disziplin der Fluggäste betrifft.. Niemand rührte sich so richtig von seinem Platz, obligatorische Spaziergänge im Gang und selbst Toilettengänge schienen aufgeschoben zu werden.  Jeder trug Maske und hielt Abstand.  Zum Glück war nicht ausgebucht und wir hatten zwischen uns einen freien Platz.

Dublin empfing uns mit Wind und milden Temperaturen !  Den Weg nach Rathmines kennen wir inzwischen gut.

Tom wartete bereits auf uns vor der Nr. 50 und freute sich sichtlich, uns zu sehen:   ¨ It's a strange time for everyone¨ - und wir tauschten uns kurz über das vergangene Jahr aus. Dann erzählte uns Tom, dass er das Haus verkauft habe!  Er entschuldigte sich beinahe dafür,  aber versicherte uns auch, dass wir - wenn wir wiederkommen - über ihn immer den Zutritt erhalten werden.  Dennoch macht uns diese Nachricht  traurig. Wieder geht etwas zu Ende! Später im Gespräch stellten wir fest, dass wir das gleiche dachten:  Vielleicht ist dies auch für uns ein Abschied von diesem Ort.  Aber diesen Gedanken schieben wir doch auf!

 

 

Im Flur stehen wir drei dann vor dem breiten Spiegel, an dem Florians Bild uns von den Karten, die Tom an den Rand gesteckt hat, entgegensieht.  Es ist ein sehr berührender Moment.  Dass an diesem Ort auch nach 20 Jahren noch so deutliche Hinweise auf die Existenz von Florian zu finden sind, grenzt wirklich ab ein kleines Wunder!  Dass, wie Tom uns noch erzählt, trotz Renovierung des Treppenhauses, Florians Name an der Fußleiste nicht überstrichen wurde, das rührt zu Tränen. Der Maler meinte, er könne dies nicht tun!  


Tom zieht sich zurück und wir gehen heute mit sehr langsamen Schritten und beide schweigend die Treppe hinauf zum Absatz. Etwas ist anders heute als die letzten Male und vielleicht ist es das Gefühl, dass zum ersten Mal die Möglichkeit, diesen Ort zu verlieren oder loslassen zu müssen, im Raum steht..  Wir haben einen leuchtenden Engel, die vorbereitete Karte und einen kleinen Strauß Blumen aus dem Garten mitgebracht. Hier starb mein Sohn!  Hier starb auch ein Teil von mir! Um diesen Gedanken kreiste alles in meinem Kopf und meinem Herzen. Das Geschehen an diesem Ort vor 20 Jahren hat unser Leben für immer neu geprägt und vor allem mich vor eine Aufgabe gestellt, an der ich lange Zeit dachte, zu scheitern:  ein Leben ohne Florian! 

                                                        Stairway to Heaven 




 ¨Song for Ireland¨ begleiet unser Schweigen und jeder ist in seinen Gedanken. Eine Tür öffnet sich und ein junger Mann geht an uns vorbei.  Er schaut freundlich und mild und verständnisvoll in unsere Gesichter.. Er kennt die Karten und er kombiniert!  Danke dafür! 


 

Wir werfen einen Blick zurück,  als wir die Steintreppen herabsteigen und ich höre innerlich Florians Lachen. Ich sehe ihn vor mir - mit großen Schritten die Treppen heraufkommen - freudig, endlich zu Hause zu sein.....  Die Bilder sind so nah, so realistisch - Er ist nie weit weg!

Unser Versuch, in Rathmines in einem der Cafés, die wir kennen, einkehren zu können, konfrontiert uns mit der neuen Realität in Zeiten von Corona:  Beide Cafés haben den Lockdown nicht überlebt und sind geschlossen. Das macht uns ausgesprochen traurig. Nur "Starbucks" hat überlebt und der Café schmeckt so schal wie der Eindruck des Ortes! Viele kleine Läden sind geschlossen, Menschen sitzen bettelnd auf der Straße.  Es ist deprimierend, den erneuten Abstieg dieses Viertels zu sehen. Vielleicht ist Florian doch Vieles erspart geblieben.... 

Wir möchten weg und sind froh, heute nicht mehr nach Connemara fahren zu müssen, sondern in Athlone in einem B+B übernachten zu können.

 



Calla im Corona-Jahr 2020 - Teil 1 -

 


Calla, 25.08.2020

Dass ich nun doch hier sitze, den Blick auf die Küste gerichtet, erscheint wie ein kleines Wunder.  "Ihr seid ganz schön mutig!" haben wir in diesem Jahr des öfteren gehört. Nein, wir haben nur Sehnsucht nach unseren Orten und die Orte brauchen uns. Da nehmen wir auch eine Quarantäne von 2 Wochen gerne in Kauf!  Wir haben viel Zeit und wir brauchen sie, hier in dieser Stille!

Wir leben in einer der verstörendsten Zeiten unseres bisherigen doch ziemlich langen Lebes!  Seit März hält  SARS CoV-2 - umgangssprachlich Corona genannt, die gesamte Welt in Atem und wird sie für immer verändert hinterlassen!  Hunderttausende Menschen sind am Virus gestorben, Millionen infiziert. Seit Ende 2019 grassiert das Virus und versetzte die Welt ab März in Angst und Schrecken. In Italien gab es bereits im März 2020 über 3400 Covid-19 Todesfälle und Europa starrte mit Entsetzen auf das Chaos und war sich bewußt, dass keines der Länder auf solch eine Pandemie vorbereitet war. Die Angst ging um und das Reisen setze - wie alles Andere, Gewohnte in unserem Leben von einem auf den anderen Tag aus:  Lockdown.  Ein Wort, das wir bis März nicht kannten, bis er  uns z.B. auf Zypern zwang, unseren geplanten 2-wöchigen Aufenthalt auf sieben Wochen zu verlängern, da auch die Flughäfen geschlossen wurden.  Ausgangssperren, Führen von Nachweisen über jeden Schritt, den man außerhalb der eigenen 4 Wände unternahm; Menschen mit Masken und Gummihandschuhen, Desinfektionslösung überall vor den Läden und eine Stille, die es so noch nie gab.   Restaurants, Bars, Cafés geschlossen -  Schulen zu und Eltern wurden über Nacht zu Lehrern: ¨homeschooling¨ - ¨homeoffice¨ wir fanden offenbar in unserer Sprache keine Worte und es gab für niemanden ein Entkommen! 

Für uns war Zypern mit unserem "Nest" ein sicherer Ort. Nur die Ungewißheit, wann wir die Insel wieder verlassen konnten, strengte an und so  nutzten wir nach 7 Wochen die Chance, überhaupt von der Insel zurück nach Berlin zu kommen, mit einem "rescue flight", der junge zypriotische Studenten nach Frankfurt ausflog. In Berlin mußten wir in eine 2-wöchigen Quarantäne. 

Keine Besucher, keine Familientreffen, keine Freunde... ¨social distancing¨ noch ein neues Wort und Hygieneregeln, wie häufiges Händewaschen wurden Gewohnheit.  Lebensmittel liessen wir uns bringen und verliessen das Haus nur, um bei wunderbarem Frühlingswetter im Garten zu sein.  Nie hat Wetter eine so große und wichtige Rolle gespielt, denn der Aufenthalt im Freien war auch ohne Tragen des Mundschutzes erlaubt und die Menschen konnten in Berlin die Wohnungen und Häuser ohne Nachweise verlassen!

Die Vereinzelung, die Stille, die auch über Berlin lag, sie hatte -  neben vielen Unannehmlichkeiten und Verzicht,  auch etwas Positives:  was bisher nicht möglich zu sein schien - geschah über Nacht:  der Reise- und Flugverkehr war ausgesetzt, die Flugzeuge blieben am Boden, Reisen wurden storniert und keiner wußte, wie alles weitergehen würde.  Die Luft war sauber, weil die Menschen auf das Fahrrad umstiegen, um sich zu bewegen an der Luft, den Frühling genießend. Die Großstädte, die sonst in Touristenmassen versinken, gehörten denen, die dort leben und in  Venedig schwammen Delphine in den Kanälen. 


 Der Konsum schlief durch die geschlossenen L
äden für Wochen völlig ein.  Kein ¨shopping¨ mehr und dann, als das ¨shoppen¨ wieder erlaubt wurde und Lockerungen eintraten, hatte keiner mehr Lust, zu ¨shoppen¨!  Das waren die positiven Seiten, die negativen natürlich, dass die Wirtschaft unter der langen Schließung von Betrieben, die erst auf die neuen Corona-Bestimmungen umgerüstet werden mußten, litt und leidet!  Kleine Betriebe gingen in die Insolvenz und riesige ¨Rettungsschirme¨ wurden über das Land verteilt. Plötzlich war alles möglich, plötzlich floss - zumindest in Deutschland das Geld, denn diese Krise unschätzbaren Ausmaßes, ließ alle Versäumnisse der vergangenen Jahre sichtbar werden!  Kaputt gesparte Krankenhäuser mußten Corona-Stationen einrichten und den normaler Ablauf von heute auf morgen unterbrechen. Es fehlten Krankenschwestern, Pfleger und Menschen, die sich um die Alten in den Heimen kümmerten.  KassiererInnen wurden zu HeldInnen wie auch das Plegepersonal insgesamt.  Keine Bundesliga, keine Rockkonzerte, kein Theater und kein Kino.  Stillstand! Und die Menschen verständigten sich - von Italien abgeschaut - über die Balkone und klatschten den ¨neuen HeldInnen¨  Beifall. (Krankenschwetern und Pfleger, Kassiererinnen in den Supermärkten).  Rührende Szenen, beschämende Szenen - den Menschen mit Empathie wurde viel zugemutet!  Allein der tägliche Blick in die ¨Fallzahlen¨ und die Zahl der Toten im eigenen Land, vor allem aber auch in Ländern wie dern USA, wo noch heute der Virus am heftigsten wütet,  wurden zum täglichen Ritual.

Dies ist alles sehr kurz und natürlich keine Analyse der letzten Wochen und Monate.  Es ist aus dem Bauch heraus geschrieben und versucht, noch einmal zusammenzufassen, wie sich die letzten Monate FÜR UNS anfühlten.  


 

 Natürlich war schnell entschieden,  dass wir den Juni-Aufenthalt hier in Calla streichen, den Sommer in Berlin verbringen und darauf hoffen würden, im September fliegen zu können.

Und wir haben gebangt, umgebucht und schließlich - die Quarantäne in Kauf nehmend - beschlossen zu fliegen.  Das Haus braucht uns, der Garten braucht uns und wie sehr uns beides brauchte, wissen wir, seit wir hier sind!