Donnerstag, 1. Oktober 2015

"Herztage" 9/2015 II



6. September 
Heute ist ein sehr ¨ ambivalenter¨ Tag:  Ich glaube, ich habe eine solche Stimmung draußen hier noch nicht erlebt. Der Himmel ist grau, es ist sehr kühl (15°) und kein Lüftchen regt sich.. Die ¨midges¨ sind da - und man kann sich nur eingesprüht gegen sie verteidigen!
Meine Stimmung ist wie das Wetter. Ich glaube, auch diese innere Landschaft habe ich hier noch nicht so erlebt...was mich zusätzlich bedrückt macht.  Ich erkläre sie mir damit, dass ich es nicht schaffe, im Hier und Jetzt zu sein!  Es ist die Lage in Europa, die mich nicht losläßt und mich irgendwie innerlich zerreißt.  Ich bin nicht dort, wo ich anpacken und helfen könnte - und doch in Gedanken bei denen, die es tun! 

 Ich sehe die Bilder der Flüchtlinge, ihre Not, ihr Elend und vor allem das Schicksal eines 3-jährigen Jungen - Aylan Kurdi - der / zusammen mit seiner Mutter und seinem 5 Jahre alten Bruder auf der Flucht von Kobane ertrank, hat allem, was in diesen Wochen geschieht, ein Gesicht gegeben, von dem sich niemand mehr frei machen kann....
In Deutschland werden Tausende von Menschen willkommen geheißen, Tausende helfender Hände sorgen dafür, dass sie sich in unseremLand sicher fühlen können (was ja auch nicht unbedingt immer gewährleistet ist...) und Irland ist - endlich - erwacht - nicht zuletzt durch eben dieses Foto des am Strand liegenden ertrunkenen, kleinen Jungen. R.I.P. kleiner Junge, der Du ein gutes Leben in Europa hättest haben sollen!

Ich habe gezögert, dieses Foto aufzunehmen, aber ich tue es, weil ich denke, dass der Tod dieses Kindes nur dadurch, dass er sich eingebrannt hat, so etwas wie einen "Sinn" bekommt.

 Weil es mich so berührt, möchte ich ei wenig aus einem Artikel aus der IRISH TIMES zitieren:
 ¨Janette in Tipperary has a couple of spare rooms.
Hellen in Donegal has two mobile homes and a plytunnel.
Mary in Cork has spare beds and would also really love to cook some meals.
Most of all, they all have big hearts - just like all the other people from all over the country, who by lunchtime yesterday and pledged an extraordinary number of beds for refugees: 6.640 and rising fast.
Mary: ¨ I came home last night and I went into me (17-year-old) daughter and said to her, 'How would you feel if we took in two refugees?' and she said, 'When you put it like that, yes, why not?'
And:  ¨ We've got problems in Ireland. But this is different. I'm trying to identify what I can do. I don't have a lot of financial resources. Bit I have a home, two spare rooms, two beds and a lot of love, care and securtity to give¨....

Wieder sind es die Menschen, die die Herzen und Hände zu öffnen  bereit sind, während die Regierung hier noch immer mit einer Zahl von 1.500 Flüchtlingen, die Irland aufzunehmen in der Lage ist, jongliert... Vielleicht erleben wir noch hier, wer ¨den Sieg¨ davontragen wird....

Ich versuche, für mich einen Mittelweg zu finden - wissend, dass dieser Aufenthalt jetzt sich von den  bisherigen unterscheiden wird.  Dies zu akzeptieren ist vielleicht das, was mich heute so unruhig und bedrückt macht...  Es gibt eben doch kein ¨Paradies¨ auf dieser Welt!!


Aber zurück zu den letzten Tagen:
Seit gestern sind wir alleine im School House. Unser Besuch ist weitergefahren nach Dublin

Es war schön mit ihnen und vor allem Lion (13 Jahre alt) hat uns - völlig unvorbereitet, da wir ihn lange nicht gesehen hatten,  so verblüffend an Florian in diesem Alter erinnert, dass es mich manchmal schmerzte!  Sein Wesen, seine Bescheiden- und Zurückgenommenheit, seine Hilfsbereitschaft -  all das war ¨Flori¨ - und somit hatten auch diese Tage sehr viel Emotionalität.

Das Wetter konnte sich an den meisten Tagen einfach nicht entscheiden - und so hatten wir den gesamten Wettermix, den Irland so auf Lager hat :)    Wir nannten  die  gemeinsamen Tagen dann einfach ¨ all inclusive¨.



Der Wechsel von Besuchern zurück zur Zweisamkeit vollzieht sich auch in Wellen:  Erst erscheint das Haus zu ruhig und leer.  Die Zimmer sind in ¨ unsere Räume¨ zurückverwandelt; ein bißchen fehlt das Leben... Und dann ist es doch schön, ¨ programmfrei¨ zu leben. Wir richten uns nun nach dem Wetter, das seine Launen offenbar fortzusetzen scheint:
Gestern war ¨ Sommer¨ - unser zweiter Sommertag in einer Woche.  Wir haben ihn genutzt für einen langen Strandspaziergang auf Bunowen.  Ein Blau ohne Wolken!  Vor einigen Tagen haben wir noch darauf bestanden, wie langweilig doch ¨ blaue Himmel¨ sind - gestern waren wir dankbar dafür und haben die Wolken nicht wirklich vermißt!!!  So kalt die auslaufenden Wellen des Atlantik sind, wenn sie unsere Füße umspülen, so wunderbar warm sind die Pfützen und Pfuhle, die sie zwischen den Felsen zurückgelassen haben...  Knietief stehe ich im Wasser und genieße es sehr!  Es ist leer am Strand und unsere Schritte hinterlassen tiefe Spuren im weichen Sand.

Zu Hause setzen wir uns gerade mit einem Capucchino in den ¨Swimmingpool¨ als es an der Tür klingelt und eine meiner ¨ unbekannten Freundinnen¨ - Olivia aus München mit ihrem Freund René vor der Tür stehen!  Überraschung! 
Dann sitzen wir zusammen -mit Blick auf den Bog und die Berge - und genießen unser ersten ¨ reales¨ Treffen hier in Irland! Es ist viel, was uns verbindet und durch unseren Austausch sind wir einander vertraut; ein gutes Gefühl hinterläßt dieser spontane  Besuch!!

Zwei Stunden später: vor  dem geschlossenen Tor taucht ein rosa Hütchen auf :)
Bevor ich meine Schuhe anziehen kann, ist Hans-Jürgen schon draußen und ich höre ihn sprechen.  Es ist eine Nachbarin (zur Linken),  die - auf ihrem Abendspaziergang - bei uns vorbei schaut, um uns ein ¨ Geschenk vom Strand¨ zu bringen---  eine dieser länglichen Plastik¨kugeln¨, aus denen wir am ¨ gate¨ ein kleines Kunstwerk gemacht haben.  Es scheint ihr sehr zu gefallen und  sie denkt vielleicht an eine Erweiterung :)  Sie trägt Handschuhe und das rosa Hütchen ist aus Wolle!  Wir dachten, es sei gerade endlich Sommer!!! Eine reizende ältere Frau, die uns erzählt, dass sie hier zur Schule gegangen ist - aber, wie wie meisten, hat sie keine guten Erinnerungen an diese Zeit!  Sie folgt unserer Aufforderung, sich gerne mal die Räume anzusehen, nicht, weil sie nicht stören möchte. Vielleicht ein andermal.  ¨ You did such a good job on this place. I love the light in the window at night..  ¨  Und sie meint, wir hätten mit unserem Haus den schönsten Platz an dieser Straße!  ¨ You can look to both sides - the bog and the Sea.  I live down here in a hole¨... "I am allways in a hole!" und sie lacht und winkt und geht weiter!!!!  
 Auch dies eine wunderschöne Begegnung und wir spüren beide, wie dankbar wir für diese herzlichen Feedback aus der Nachbarschaft sind!!
 

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