"Every feature of
the landscape, everything that we see, hear, smell und feel, enters not into
the body alone, but into the soul, and helps to shape and colour it"
H.W. Hudson
31.12.2012
Im Anflug auf Dublin lichten sich die dichten Wolken geben den Blick frei auf die irische Küste und vorgelagert die Halbinsel Howth – ein grünes Idyll, das wir am Ende unserer Reise noch einmal besuchen werden.
Dieser Augenblick, in dem die Insel erscheint, ist und
bleibt sehr bewegend für mich und ich lasse es zu, dass Tränen rollen, während
im Flugzeug eher fröhlicher Aufbruch entsteht.. We are short before landing.
Hans-Jürgen sitzt entfernt am Fenster. Wir konnten uns nicht auf Plätze
nebeneinander einigen, nun vermisse ich seine Hand.
Das Wetter ist dem in Berlin ähnlich: grauer Himmel – es regnet zumindest nicht.
Mit Handgepäck sind wir schnell unterwegs und sitzen bald im
gemieteten Auto auf der Fahrt nach Clifden… Wir fahren in die Dunkelheit – und
hinter den grauen, tiefliegenden Wolken erscheint noch einmal ein leuchtend
roter Streifen der untergehenden Sonne, als wir uns Richtung Westen Galway
nähern. Dann wird es dunkel und nur die
Scheinwerfer werfen ein begrenztes Licht auf die Landschaft deren Schönheit uns
bei Tag sonst bereits den Atem raubt..
Schnell ist eingecheckt, das B+B macht einen guten Eindruck.
Das Zimmer ist groß und geräumig, was bei 3 Übernachtungen sehr angenehm ist..
Zu Fuß machten wir uns auf im einsetzenden Nieselregen. Leere Straßen, alles
völlig ruhig – wie wunderbar! Ein Tisch
wartet auf uns im Restaurant des „Kings Pub“ und mit einem Glas Prosecco werden
wir schon erwartet: „Are you Gabriele? Welcome and enjoy your dinner“. Damit hätten wir rechnen müssen: ein 8-Gänge-Menu wartete auf und es gab kein
Zurück! Gerichte wie: „Organic Goat
Cheese Tartlet with mediterranean vegetables ratatouille and plum compote” –
ließen eines erwarten und wir wurden nicht enttäuscht! Das Essen war
ausgesprochen gut und strafte uns Lügen, dass man in Irland keine Gourmet-Küche
kennt.
Ausgelassene Stimmung an den anderen, wenigen Tischen und langsam füllte sich auch der Pub, in den wir von oben hinabsehen konnten. Was würde wohl alles noch geschehen in dieser Sylvesternacht?
Mit einem Glas Guinness sitzen wir später am riesigen Tresen
im Pub und sehen dem wirklich immer munterer werdenden Treiben zu. Vor allem
die jungen Frauen scheinen in dieser Nacht ihren großen Auftritt zu haben: in knappsten Kleidern mit den höchsten Absätzen,
geschminkt und zurecht-gemacht wie für einen Ball stehen sie im Pub, singen
und lachen und werfen sich einfach in diese Nacht – als wäre es ihre letzte…
beneidenswert und wissen wir es denn?
Ohrenbetäubend die life music und lauthals wird mitgesungen… bis um 12
Uhr die letzten 50 Sekunden gemeinsam heruntergezählt werden- und der Raum
voller Luftballons ist – die man sich mit einem „Happy New Year“ zuwirft! Wir umarmen uns – und was wir uns wünschen,
das müssen wir nicht mehr aussprechen.
Wir sind so dankbar, hier zu sein – und wir haben eine gemeinsame
„Mission“….
Aber heute schauen wir einfach zu bis wir müde sind – was
nicht allzu lange dauert – und im B+B fallen wir in einen traumlosen
Schlaf. Ein neues Jahr – was wird es
bringen? Wird es unsere Wünsche, Hoffnungen und Träume erfüllen?
Einer ist schon erfüllt:
wir sind in Irland!
1.1.2013
Ich ziehe die Vorhänge auf, durch die kaum Licht fällt,
obwohl es schon 9 Uhr ist. Vor mir ein Himmel in leuchtenden Rottönen, vor dem
sich die Berge der Twelve Bens grau abzeichnen.. Es hat aufgehört zu regnen,
die Luft ist frisch und es sieht aus, als könne es ein guter, sonniger Tag
werden!
Das Frühstück für mich ist ein wenig dürftig – aber nach dem
opulenten Mal des Vorabends gerade richtig. Hans-Jürgen kann sich ein Irish breakfast dennoch nicht
verkneifen. Irgendwie haben wir es eilig, sind aufgeregt und voller freudiger
Erwartung. Wie wird es sein, wenn wir uns dem School House nähern? Wird der
Funke, wenn wir das Tor durchschreiten wieder überspringen? Werden wir ernst machen mit unseren
Plänen? Wir sind gekommen, um eine Entscheidung zu
treffen: Kaufen wir das School House oder verabschieden wir uns von unserem Traum.
Wie wir es vorausgesagt haben, wird das Wetter immer besser
und die Sonne übernimmt! Unglaublich, denn nun erst werden wir, je mehr wir uns
der Gegend Connemaras nähern, der unser Herz so sehr verfallen ist, von der
Schönheit, der Farbpalette der Landschaft und der sich abhebenden Blautöne des
Atlantik beinahe geblendet!
Wir kennen jede Kurve dieser Küstenstraße, die sich von
Clifden nach Roundstone windet und haben so oft angehalten, um den Zauber der
Landschaft in uns aufzunehmen.
Unbeschreiblich
diese Moorlandschaft, eine Urlandschaft, kaum berührt und sie zwingt zum Hinsehen,
denn ihr Licht, die Schatten, die die schnell dahinfliegenden Wolken auf den
Tümpeln und kleinen Moorsehen hinterlassen, sind stets nur einen Augenblick
sichtbar. Dann wandelt sich das Licht und damit die Stimmung.
Hier zählen die
Momente, jeder einzelne und ich realisiere in Irland mehr als sonst, dass unser
Leben aus eben diesen Momenten besteht, aufgereiht wie auf eine
Perlenschnur...Moment an Moment. Sie zu leben, sie zu nutzen, sie zu genießen,
dies ist unsere Aufgabe.
Heute haben wir es ein bisschen eiliger… und dann ist es mit
einem Mal da – das Calla School House! „Da steht unser Haus“, sagt Hans-Jürgen
und ich schaue ihn ungläubig an. In diesem Moment erscheint mir irreal, was ich
gerade erlebe. Wie oft habe ich diesen Moment vor meinem inneren Auge
gesehen… und nun ist er da!
Ich öffne das Tor, das immer nur angelehnt ist und lediglich
dazu dient, die Kühe/Schafe davon abzuhalten, auf das Grundstück zu gelangen…
und Hans-Jürgen fährt das Auto vor das Haus.
Werden wir diesen Moment in einer Zukunft, die jetzt
vielleicht gerade begonnen hat, oft und immer wieder erleben?
Das Haus ist uns schon vertraut und fast sieht es aus, als
habe es auf uns gewartet… ein wenig wie ein Patient, der auf Behandlung wartet…
die Krankheit ist nicht aussichtslos – aber es muss etwas geschehen. Ein wenig
bedauernswürdig und der Schönheit seiner Lage einfach nicht entsprechend – noch
nicht!
Wir haben den Schlüssel im B+B von Sinead hinterlegt bekommen
und betreten das Haus doch mit einiger Anspannung… Kühle Luft schlägt uns
entgegen, ein leiser Geruch von Feuchtigkeit aber sehr viel weniger als
befürchtet.
Der alte Koffer im Flur, voller Dokumente derer, die hier
zuletzt gewohnt haben. Fotoalben,Karten, ein Tagebuch, in das ich später schauen werde.. herabhängende
Vorhänge, überall Papier auf den alten, schäbigen Teppichen.. die Küche,
schmutzig und heruntergewirtschaftet…alles nicht einladend – und doch stößt uns
der Anblick nicht ab… Wir haben uns an ihn gewöhnt, denn auf vielen Fotos, die
wir im September gemacht haben, sieht es identisch aus.
Hans-Jürgen beginnt sofort mit der Arbeit. Zunächst der Überprüfung
der Böden. Zu unserer Freude stellen wir
fest, dass der Eingang (the porch), ein Drittel des Flurs und das Zimmer, das
einmal für meinen Bruder Michael vorgesehen ist, mit kleinen quadratischen Steinen gepflastert
ist.. Hier kann schon mal kein Holzwurm sein!
Die Teppiche liegen doppelt und dreifach auf den restlichen
Holzböden und schnell ist uns klar, weshalb:
wenn wir sie anheben, steigt kalte Luft durch die Spalten der alten
Dielen. Hier gibt es keine Rettung: diese Böden müssen alle – zumindest
hochgenommen – werden und es muss eine Isolierung unter alle Holzböden im Haus.
Das haben wir auch so erwartet..
Die Räume erscheinen uns ein wenig kleiner als wir sie
erinnern – aber alles in allem finden wir das Haus so vor, wie wir es vor fast
4 Monaten zurückgelassen haben.
Blick zum Atlantik
Blick auf den "bog"
Mich zieht es in den Garten – wir öffnen die beiden
Eingangstüren, um frische Luft hereinzulassen und erkunden das Haus von
außen. Immerhin war Sommer beim letzten
Besuch und nun ist Winter – auch in Irland.
Die Buschrose, die so schön blühte, ist kaum zu sehen – wie unansehnlich
sie ist um diese Zeit und sie mahnt uns gleichzeitig, dass unser Plan, entlang
der das Grundstück zur Straße abgrenzenden kleinen Mauer, keine Buschrosen zu
pflanzen!
Ansonsten sieht es nicht wesentlich anders aus. Es ist grün, die Weide trägt keine Blätter
aber die Heckenbüsche sind immergrün und sehr üppig. Sie brauchen dringend einen Schnitt!
Die Landschaft um uns herum ist heute eingetaucht in ein
unbeschreibliches Licht… einzigartig und nur hier erleben wir dieses Leuchten
der Felder, der Wiesen, Brauntöne, die Dutzende von Schattierungen haben, das
Wasser des Maumeen-Lake, das mit seinem Azurblau einen so wundervollen Kontrast
schafft – dahinter die Berge der Twelve Bens – alles zum Greifen nah. Selbst im
September waren diese Blicke nicht so intensiv und so ergreifend.
Heidelandschaft – unvergleichlich und zutiefst berührend. Wir verstummen
angesichts dieser unberührten, wilden Schönheit.
Hand in Hand durchschreiten wir den Garten und blicken auf
der Vorderseite des Hauses auf die Küste, die nicht weniger attraktiv und heute
in diesem Licht überwältigend schön ist. Da
das Meer sich um diese Zeit weit zurückgezogen hat, eröffnet sich uns eine
Meereslandschaft von Stränden und Felsen, mit Seetang bedeckt, die in diesem
besonderen Licht farbenprächtig leuchten.
Und darüber der Himmel: Man kann sich an seinen Wolken einfach nicht satt sehen. Wie gemalt und am
Himmelsblau aufgehängt sehen sie aus – so malen Kinder Wolken – wie dicke,
runde Schafe…
Bunte Boote liegen in den leergelaufenen kleinen Häfen. Dahinter
die See leuchtend blau und am Horizont trifft sie den Himmel.
Sollen das wirklich „unsere Blicke“ werden, wenn wir künftig
nach Irland kommen? Es ist – noch immer
– als würden wir träumen.
Wir rufen Peter und Cornelia an, Architekten aus Dublin und
Nachbarn, mit denen wir uns hier verabredet haben.
In der Zwischenzeit inspizieren wir den riesigen Schuppen,
den wir noch einmal genau nach Brauchbarem durchstöbern wollen, bevor er
(sollten wir das Haus kaufen) bis auf ein Drittel abgerissen wird. Er steht
unserem Blick auf den „bog“ im Weg! Hier sieht es schlimm aus. Es war wohl eine
Werkstatt. Riesige Wolle- und Stoffmengen, Papier, Zeichnungen und
Haushalts-gegenstände, die offenbar niemand mehr haben wollte.
Eine Plastikkiste, die wir öffnen, lässt uns erstaunen und
auch ein wenig erschauern: Susan, der
diese Unterlagen, die wir hier finden, gehörten, war Therapeutin und hat
offenbar Workshops im Haus gegeben und ihr Thema war die TRAUER! Wir finden zahllose Papiere und Unterlagen
mit Texten zur Trauer. Wir sehen uns
wissend an. Ja, dieser Ort hat es in sich. Das haben wir vom ersten Augenblick
an gespürt. Hans-Jürgen zieht ein Holzschild hervor, auf dem „REIKI“ steht….
Also war offenbar Susan die „Heilerin“ und nicht der alte Mann, der sich „der
letzte Schamane von Connemara“ nannte.
Oder auch er? Über ihn finden wir nichts.
Im Flur liegt die Brille von Susan, wie wir auf einem Foto
von ihr sehen können. Ich finde einen kleinen Schüsselanhänger mit ihrem Foto
und auf der Rückseite das Foto einer Möwe, wie wir sie – zusammen mit Florian -
auf unserer Fahrt entlang des Ring of Dingle fotografiert haben.. Zufall?
Noch einer? Diese Dinge möchten wir bewahren. An der Wand,
auf einem eigens eingeschlagenen Haken steht ein großer Herzstein.. Überall um
das Haus stoßen wir auf diese Steine, die wir selbst doch seit Florians Tod
sammeln und zu Dutzenden aus Irland mit nach Berlin geschleppt haben..
Jemand aus diesem Haus hat sie ebenfalls gesammelt…
Wir sind irgendwie empört darüber, dass mit Susans Nachlass
so respektlos umgegangen wird, bis wir
von Peter und Cornelia später erfahren, dass sie die zweite Frau des Mannes
waren, mit dessen Kindern wir nun die Abwicklung des Kaufes – sehr mühsam – zu
bewältigen versuchen!
Sie haben sie gemieden – sie war nicht ihre Mutter, die
offenbar vom Vater verlassen worden ist.
Wir werden sicher später noch mehr über dies Haus und seine
Bewohner erfahren. Eine Nachbarin – Rita – soll die „Familieninterna“ kennen.
Ich weiß gar nicht, ob ich sie alle wissen möchte..
Wir beschließen, die Kiste mit den Dokumenten mit ins B+B zu
nehmen und alles noch einmal in Ruhe durchzusehen.
Hier ein Foto von Ihrer website: links Cornelia, Peter in der Mitte...
Und schon hören wir Peter und Cornelia kommen, beide in
grünen Gummistiefeln und irischen Regenjacken!
Eine herzliche Begrüßung und dann
verbringen wir einige Stunden mit ihnen im School House – gehen von Raum zu
Raum – inspizieren, besprechen, lachen, überlegen und entwerfen. „No new roof“
– das ist die beste Nachricht, die sie uns sofort vermitteln. Dem Holzwurm
solle zwar der Kampf angesagt werden, aber beide gehen davon aus, dass dies
auch ohne ein völlig neues Dach geschehen könne! „You will need the money for other things“…
und irgendwie fällt uns ein Stein vom Herzen.
Das Dach war uns zum Verhängnis geworden, denn – hätten wir es wirklich
völlig neu machen müssen – hätte es einen Großteil unseres Gesamtbudgets
aufgefressen..
Die Chemie zwischen uns stimmt vom ersten Augenblick an –
und so fällt es leicht, zusammen zu sein – auch zuzugeben, wenn wir etwas nicht
verstehen und als sie uns – zum Aufwärmen – zu einem „cup of tea“ bei sich
einladen, stimmen wir freudig zu!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen