Sonntag, 3. Oktober 2021

Connemara Diary 2021 - part 4 -

 


17.09.2021

Heute hat der Tag die Farben verschluckt: Grautöne, wo sonst das Blau und das Türkis der Küste, das Braun der Felsen, manche bedeckt von grünen Grashauben unsere Blicke auf sich ziehen. Kein Horizont. Auf der anderen Seite des Hauses ist der Erisbeg im Nebel verschwunden und selbst die Kühe von Pete haben sich verzogen und die Weide im Bog ist leer. Heute ist erst der zweite Tag, der von vornherein als “aussichtslos” angekündigt war und das heißt nicht mehr, als dass man seine Aktivität ins Haus verlegt. Hans steht zwischen Farbeimern und teilt sie den Räumen zu. Die Farben hier haben klangvolle Namen wie “Piano Key, Palm House Fountain, Midsummer Night” und das Weiß für die breiten Fenstersimse im Haus heisst “Milk Teeth”. “Sea Fog” und “Evening Glow” sind die Außenfarben für das Haus. 

 

Wir sitzen mit dem neuen kleinen Radiator im “Sun Room”, auf dessen Dach der Regen prasselt und unterhalten uns über die Eindrücke die das Konzert von Iarla auf uns hatte.  Ich glaube, so ein klein wenig enttäuscht sind wir beide. Es war doch ein anderes Konzert als das, das wir erwartet hatten.  

 


Iarla hatte zwei brillante Musiker mit Ùna Monaghan aus Nordirland, die Harfinistin ist, Komponistin, und wenn sie nicht Musik macht,  ist sie Astrophysikerin.  Ihre Kompositionen, die sehr experimentell, mit zusätzlichen über den Computer eingespielten bemerkenswerten Tonvariationen ergänzt werden, waren für das Publikum hier und auch für uns doch eine gewissen Herausforderung.  Iarla selbst hielt sich auffallend zurück und hatte eigentlich nur zwei oder drei eigene Interpretationen alter irischer Lieder, die er zufällig in seiner sicher gigantischen Sammlung irischer Musik entdeckt hatte. Es ist eine große Freude, den Musikern zuzusehen und vor allem Úna an der Harfe. Was für ein wundervolles Instrument und wie vielseitig es spielbar ist, beweist sie uns in diesem Konzert.  Nichts erinnert an “Engelsmusik”, die wir der Harfe ja gerne zuweisen.  Es ist auch ein durch und durch modernes Instrument.

Der Cellist Kevin Murphy unterstützte mit diesem klangvollen, zurückhaltenden Instrument beide Musiker und auch er hatte eine oder zwei Eigenkompositionen, die gefälliger, aber doch auch anspruchsvoll waren.

Alles in allem war es ein beeindruckender Abend und hat noch einmal deutlich gemacht, wie unglaublich vielfältig Iarla Ó`Lionáird  musikalisch unterwegs ist. Sicherlich war diese Zusammensetzung eine temporäre und die Tour wird in einigen Tagen mit einem Konzert in Sligo enden.

Uns fällt auf, dass Clifden – im Gegensatz zu früheren Arts-Festival-Wochen weniger voll ist, aber vielleicht ändert sich das in den kommenden Tagen. Es war ja das Eröffnungskonzert und es folgen nun etliche Events.

 


Paul taucht, wie versprochen auf. Er hat noch einige Dinge am Haus zu reparieren. Er hat uns vorgewarnt, dass die Materialkosten für alles, was mit Bauen zusammenhängt enorm gestiegen seien. Wir wissen das auch aus Berlin und bitten ihn, die Materialien schnellstmöglich zu besorgen, sofern sie derzeit überhaupt erhältlich sind.  Dann sitzen wir mit ihm und einem Cappuccino in der Küche und sind schnell im Gespräch über all die Fragen, mit denen wir schon wieder seit wir hier sind, schwanger gehen.

Paul ist besorgt über die Situation, die sich hier durch die Pandemiezeit in seinen Augen dramatisch zu verändern scheint. Connemara liegt im Auge von Spekulanten und auch der eine oder andere Besitzer von Land in dieser Region hat Geld gerochen.  Die Immobilienpreise schießen durch die Decke, Häuser sind kaum mehr für Einheimische zu mieten, da sie von airbnb geradezu “übernommen” wurden und auch, wenn sie längere Zeit leer stehen, so lohnt es sich dies für die Eigentümer immer noch mehr, als sie regulär zu vermieten.  Dies weitet sich zu einem echten Problem aus, da Hotels und andere touristische Unternehmen, die dringend Arbeitskräfte suchen, diesen keine Wohnungen nachweisen können und somit auf offenen Stellen sitzen bleiben und überall fehlen Arbeitskräfte . 

Irland, das einst der ärmste Staat der Europäischen Gemeinschaft war, gehört heute zu den reichsten. Das Rezept: der Ausverkauf der Rohstoffe und Steuerparadies!  Nicht nur dass mit niedrigen Unternehmenssteuern, auch “Gefälligkeitssteuern” genannt, ausländische Investoren angelockt werden, auch die Rohstoffe, wie wir ja vor zwei Jahren hier erfahren mussten, werden weltweit zur Plünderung angeboten. 

 Das Dilemma Irland liegt in der irischen Politik, die von Eigeninteressen der gewählten Abgeordneten im Dail – irisches Parlament – bestimmt ist, die nur ihrem Wahlkreis verantwortlich sind aber nicht das gesamte Interesse der irischen Republik im Auge haben. So wird alles noch so Unsinnige im Wahlkreis unterstützt, wenn es kurzfristigen Erfolg bringt und die Wiederwahl mit einem ganz guten Einkommen von ca. 80.000,00 € sichert. Auch die irischen Grünen bilden hier keine Ausnahme.

Es gibt zum Glück aber auch immer mehr Menschen, die sich für die Umwelt, das Klima und die Reichtümer dieser wundervollen, einzigartigen Insel stark machen und sich der Obrigkeit widersetzen. Vieles betrifft sie selbst direkt:  Paul erzählt von einem neuen Vorhaben, hier vor der Küste Connemaras einen Offshorpark eines australischen Investors zu genehmigen.  Es ist – wie so oft – einer der schönsten Küstenstreifen, an dem diese, die Küste für immer verändernden Maßnahmen,  geschehen soll und – wie auch hier bei der “Anti Mining-Kampagne" – formiert sich der Widerstand. Niemand stellt in Frage, dass gerade Windenergie eine wesentliche Quelle für die Gewinnung von Strom sein kann und sein sollte.  Hier allerdings stellt sich – laut Paul – die Frage, ob dies gerade hier im Atlantik, wo die schweren Stürme ungebremst auf die Küste treffen, überhaupt sinnvoll und möglich ist. Den wesentlichen Ertrag für die gewonnene Energie wird ohnehin der australische Investor einstreichen.

Paul ist auch besorgt darüber, dass den Menschen hier in Irland der Respekt vor der Natur mehr und mehr verlorengeht. Man lebt nicht mehr mit der Natur, wie man es ihn noch lehrte, sondern man benutzt die Natur lediglich für seine Vergnügungen und hinterlässt Müll und Dreck.  Viel hat man über die Strände hier nach einem heißen Wochenende in allen Teilen des Landes gelesen!

Überall lesen wir “site for sale” und die Wahrscheinlichkeit, für all diese Flecken Eigentümer zu finden, ist sehr groß.  Irland hat sehr viele Reiche, Dublin ist eine Stadt der Millionäre. Die Schere geht mehr und mehr auseinander, viele haben sich von der Finanzkrise 2008 bis heute nicht erholt.Das Problem der Wohnungsnot, das in den Städten drastisch ist, wird "ausgesessen" - wie so vieles andere.  Wir haben inzwischen Kaufangebote für das Scholl Hause von Gästen erhalten, was uns wütend macht.

Das Versprechen der Regierung z.B. das Gesundheitswesen Irlands, um das es ja nicht allzu gutsteht, zum modernsten Europas umzugestalten, wird mit Lachen und Kopfschütteln kommentiert.  Man glaubt an kein Versprechen mehr, jeder scheint sich der Nächste zu sein.  Das spaltet die Gesellschaft.

Stundenlang könnten wir mit Paul hier sitzen und uns “Irland erklären” lassen, aber die Sonne kommt raus – unerwartet und freudig von uns begrüßt. Wir müssen unsere Wasservorräte an der Quelle auffüllen und auf geht es nach Ballynahinch.

 


 

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