Je näher Irland rückt, desto öfter denke ich an Florian und lese wieder in seinen Briefen. Heute möchte ich Euch einen seiner lebendigen Briefe "schenken"... vielleicht das größte Geschenk, das ich machen kan :)
Irland, Donnerstag, 7. November
96
Liebe Gabi,
es ist 23.00 Uhr und ich habe
gerade an Lutz geschrieben. Danach habe ich meinen Hocker genommen, meine
Dachluke aufgemacht und eine Zigarette geraucht. Die Lichter im meinem Zimmer
sind, bis auf ein paar Kerzen, erloschen und ich habe den klaren Sternenhimmel
genossen. Dann habe ich die Lichter eines Flugzeuges gesehen und plötzlich das
Bedürfnis gehabt, nach Berlin zu fliegen. Dies sind die Gefühle des Heimwehs,
die ich ab und an habe und die mir sagen, daß ich Ende Dezember auf jeden Fall
kommen möchte.
Ich will Euch alles
erzählen, mit Euch lachen und Euch sehen. Ihr seid jetzt auf Gomera, in meinen
Gedanken aber in Berlin, in Köpenick, bei uns
zu Hause!
Ich merke, wie ich immer mehr mit
diesem Platz hier verwachse, ohne aber zu vergessen, wo meine Wurzeln, mein
wahres zu Hause ist. Ich liebe und schätze diesen Platz, sehne mich aber
manchmal nach dem Vertrauten, dem Privaten.
Heute war mein Day-off und ich
habe ihn – zum ersten mal seit bestimmt 4-5 Wochen in meinem Zimmer verbracht.
Ich wollte mich mal wieder erholen. Ich habe das Buch „Rote Sonne – Schwarzes
Land“ zu Ende gelesen. Unter anderen bin ich dabei auf den Spruch gestoßen:
„Wir alle haben zwei Leben. In das eine sind
wir hineingeboren
worden.
Das andere Suchen und gestalten wir uns selbst“.
Ich fand diesen
Spruch sehr schön und treffend und habe über ihn nachgedacht. Ich mußte
dabei an Freunde in Berlin denken und darüber, warum sie sich das Leben so
schwer machen, alles dem „Schicksal“ überlassen? Ich denke viel über sie nach.
Gestern, Mittwoch, waren Douglas
und ich beim „Irish-Dancing“ und hatten viel Spaß und Lachen. Es ist ein
setdance; immer zwei Paare, die sich gegenüber stehen. Dann wird sich gedreht
und gekreist, daß sich alles nur so dreht. Ich tanzte mit einer 23-jährigen
Irin getanzt. Dies war eine Ausnahme, da
sonst fast nur Mitte 40 bis Ende 60-jährige Frauen und Männer dort waren.
Nächste Woche gehen wir auf jeden
Fall wieder hin.
So, jetzt höre ich auf, es ist
23.30 und ich muß morgen um 7.00 früh melken.
Alles Liebe
Dein Florian
Douglas und Florian auf ihrem Tandem, das sie in einem Schuppen gefunden hatten - natürlich ohne Bremse :)