Donnerstag, 25. September 2014

Zurück im Reich der Melancholie - Teil 2



 

 2.9.2014

Meinen gestrigen Eintrag habe ich versehentlich nicht gespeichert- und so ist dieser Augenblick, den ich mit Gedanken eingefangen und in Worte zu kleiden versucht habe, vorüber - aber es gibt noch viele neue!   Ich habe meinen Lieblingsschreibplatz im kleinen Schlafzimmer mit dem hohen Tisch vor dem Fenster wieder eingenommen.  Vor mir liegt die Bucht, die gerade vollläuft. Die Farbe des Himmels bestimmtauch die des Wassers - und so sind es Grautöne statt des Blau.  Aus der Wasseroberfläche ragen diebraunen und vom Seetang bedeckten ockerfarbenen und rostfarbenen Brandungsfelsen und sehen selbst aus, wie große dicke Robben, deren Silhouette sich sogar von hier ausmachen lässt. Einige größere Felsen sind bewachsene, grüne Inseln und manchmal sahen wir sogar einige Schafe auf ihnen grasen. DerHimmel ist - bis auf wenige blaue Flecken - konturlos.. das kennen wir sonst kaum von hier.
Dieses zeitlose Panorama der Unendlichkeit atmet Ruhe!



Wir verstehen mehr und mehr, wie sehr einen diese Landschaft beinahe dazu zwingt, im Hier und Jetzt zu sein. Schnelle Wetterwechsel, die größeren Abhängigkeiten von den Launen der Natur, sie machen uns flexibel und gelassen.. Keine großen Pläne, denn je nach Wetter würden wir sie ohnehin umstoßen..  im Moment sein, den Augenblick auskosten und das Glück, das er auszulösen vermag zu speichern versuchen... ein gutes Seelentraining, wie ich finde.

¨Man sollte den Tag nicht vor dem Abend bewerten¨ - muss es hier heißen, denn im Moment entfaltensich die Tage erst spät und meist haben wir einen schönen, teils sonnigen Abend!  Den gestrigenNachmittag nutzten wir zur Erkundung. 




Wie nah das Gute und das Schöne liegt, auch das lehrt uns Connemara.  Mit kleinen Abstechern von der Straße nach Clifden zur Küste beginnen wir:  Zwischen  Ruinen grasen Pferde, am Strand finde ich kleine Korallenstücke und gedrehte Muscheln, die ich bisher nur an Dogs Bay gefunden habe. Am Wegrand pflücken wir die reifen Brombeeren von den Sträuchern. Es ist Ebbe, aber wir wollen uns doch noch keine nassen Schuhe holen, denn wir haben ja erst begonnen mit unserer Exkursion:)  Wir nehmen einen Abzweig auf eine Halbinsel vor Clifden, die wir noch  nicht genauer inspiziert haben. Wir wissen, dass in dieser Gegend um die Manin Bay überall Spuren von Steinzeitsiedlungen, Befestigungen aus der Bronzezeit, mysteriöse Steinspiralen - Stone Circle -  zu finden sind.. aber wir wollen uns überraschen lassen.
Die enge Straße windet sich teils entlang der Küste, wo wir auf Buchten stoßen, teils ins Innere, wo ausladende malerische Seen liegen.


 Die Straßenränder sind nun gesäumt von glühend roten Fuchsienhecken. Wir halten an einer Stelle an, die links und rechts der Straße den ¨Garten Eden¨ zu spiegeln scheint: eine Explosion an Farben: Ein Feld von Montbretien vor von Efeu überwachsenen Ruinen, Hortensienbüsche und Fuchsien und riesige Farne und Gräser. Vogelgezwitscher über uns und am Hang zerklüftete Felsen an deren Rücken Heide und leuchtend gelber Ginster wachsen. Mein Versuch, Heide zu pflücken, wird, wie schon so oft, vom stechenden Ginster verhindert!   


Dies sind so zauberhafte Farbtupfer in dieser sonst so schroffen Landschaft und dies macht sie so besonders! Der Weg, den wir abgebogen sind, endet an einem Pier. Und wieder werden wir überrascht:  Hier steht - über dem Pier - ein prächtiges Herrenhaus,das, auch, wenn es sicher bessere Zeiten gesehen hat, doch noch immer etwas Majestätisches hat.  Beim Blick auf das Haus erkenne ich hinter dem Fenster jemanden, der uns offenbar mit einem Fernglas beobachtet, was uns darin bestärkt, dass Touristen sich hierher nicht allzu oft verirren. Mit uns aber parkt ein weiterer Wagen, aus dem - ausgerüstet mit Angelutensilien und in leuchtend gelber Wetterkleidung - ein Paar steigt, dass auf unser freundliches ¨Hello¨ mit weniger freundlichem ¨Bonjour¨ antwortet. Diese kleine Begegnung lehrt uns erneut, dass man als Franzose auch in Irland bei seiner Sprache bleibt. Sie erklettern die äußersten Brandungsfelsen um den geeignetsten Angelplatz zu finden. 


Wir laufen über eine Wiese an der Küste weiter und vor uns tut sich eine ausladende Bucht auf.
¨ Dieser Strand ist wie der in Nizza¨ - ruft mir Hans-Jürgen, der schon vorausgeht, zu. So erfahre ich, dass der Strand in Nizza ein Steinstrand ohne jeglichen Sand ist und diese Steine aber habe ich hier in Irland so noch nie gesehen. Sie sind klein und alle rund geschliffen vom Meer.  Sie haben alle Grau-und Weißtöne und eigentlich sieht der Strand unglaublich ¨ aufgeräumt¨ aus..Diese Steine liegen an einigen Stellen wie ein geordneter Steinteppich.. Das ist schon sehr bemerkenswert und besonders.
Das Wetter heute ist einfach gut - und die Sonne, die immer wieder durch die Wolken schaut, wärmt und taucht die Landschaften in ein mildes, warmes Licht.  Wunderbar nach den eher grauen Farben der letzten Tage!



Das ist es, was diesen Landstrich hier so ausmacht: es sind die Überraschungen, das Unerwartete, das sich hinter jeder Biegung eines Weges auftun kann.  Das liebe ich über alles.. Dies sind die absoluten Highlights für mich in Irland!  Keine ¨Sehenswürdigkeit¨ kann dies Gefühl in mir auslösen, wie diese stillen, lichtdurchfluteten Bilder der Landschaft Connemaras:  Ich fand im Internet ein Gedicht einer Schülerin, das mich richtig ergriffen hat:  wunderbare Wortbilder – für diese wundervolle Landschaft:


Connemara

Hügel wie Atlantikwellen,
so weit das Auge reicht.
Butterweich und seicht
sie aus dem Boden quellen.

Sie enden erst am Rand der Welt,
wie sie sich türmen,
trotzen stürmen,
steh'n aufrecht, wenn der Regen fällt.

Im Dunkeln tummeln sich die Feen,
hörst du sie lachen,
Späße machen?
Sie baden in den Seen!

Wenn Geister tanzen, Gnome singen,
wenn Zwerge hüpfen, Elfen springen,
in einem Reigen, leis' und sacht,
ist in Connemara Nacht.

Wolken bremsen oft das Licht,
doch ist's nicht tragisch:
Es ist magisch!
Und die Feen stört es nicht.

Die Luft ist frisch und morgenklar,
die Nebel zieh'n,
die Feen flieh'n -
ob sie heut' Nacht wohl einer sah?

Schafe drehen ihre Runden
in der Sonne,
welche Wonne!
Die Feen sind verschwunden.

Als Geister tanzten, Gnome sangen,
als Zwerge hüpften, Elfen sprangen,
in einem Reigen, leis' und sacht,
war in Connemara Nacht.


(Julia Frick aus Lambsheim)


Es bleibt ein guter Abend und nach dem Essen gehen wir noch einmal die Runde, die wir im Juni regelmäßig gingen: entweder zum Strand zum Sonnenuntergang, aber da dieser heute nicht spektakulär zu werden scheint, gehen wir die Straße ein Stück Richtung  Ballyconneely an der Küste entlang und schauen, was aus den Wunden des Winters geworden ist.  Das Boot, das die Flut in Stücke riss und das im Juni noch wie ein Kadaver im Grün lag, ist zwischenzeitlich überwachsen. Man kann nur noch ahnen, dass dies einmal eine Art ¨Wahrzeichen¨ dieses Küstenabschnitts war, der aufmerksame Autofahrer sofort zum Halten aufrief und sicher auf zahllosen Fotos festgehalten ist. 
    So haben wir es noch im Juni 2013 fotografiert...

Das kleine Haus am Pier ist wohl dem Verfall  preisgegeben - und wirkt inzwischen wirklich eher trist als pittoresk, wie wir es früher erlebten und es sogar unsere Fantasie anregte, wie es wäre, darin zu leben :)  Heute - nach diesem Winter und der Katastrophe der Flut - wissen wir es besser. Viel zu dicht an der Küste steht es und vielleicht wird es den nächsten großen Sturm nicht mehr überleben. 
 2009 konnten wir es sogar noch betreten und der Tisch war gedeckt :)



Wir gehen auf den Pier, dessen Geschichte Mattthew und zwischenzeitlich erzählt hat. Er wurde von der Gemeinde mit öffentlichen Mitteln für die Fischer von Emlouhgmore and Calla errichtet. Nach seiner Fertigstellung meldete sich der Eigentümer dieses Grundstücks und erhob Anspruch auf den Pier, der nun auf seinem Land stehen würde. Offenbar war er erfolgreich und der Pier wurde ihm übergeben: aber nie hat dort ein Boot angelegt. Die Fischer haben diesen üblen Trick mit ihrer Ignorierung des Piers quittiert und liegen nun ein Stück weiter an einem anderen. Man solle sich von diesem Menschen fernhalten, meinte Matthew und froh sein, ihn nicht zum Nachbarn zu haben!


Jedenfalls lieben wir es, am Abend auf die Spitze des Piers zu gehen, von wo aus man den Blick auf die Bucht und die vorliegenden Brandungsfelsen hat. Auch wenn das Wasser sich zurückzieht, bleibt genügend zurück, um die Robbenbänke belebt zu halten.  Es ist so berührend, diese so friedvollen Tiere auf den winzigen Felsen im Meer liegen zu sehen, oder sie im Wasser plantschen zu hören. Sie bewegen sich träge an Land und werden erst im Meer richtig beweglich. Wir könnten stundenlang dort verweilen, sie irgendwo ausmachen und gestern hatten wir das Glück, dass eine Robbe ganz nah auf einem Felsen lag.


Zur Hause wartete der Kamin auf uns, der noch brannte und eine wohlige Wärme ausströmt. Lang sind die Abende nicht. Wir hören Musik, wir lassen den Tag noch einmal revuepassieren und wir freuen uns auf den nächsten. Keine Pläne.  Das Wetter bestimmt das Programm..und:  Wir haben in Clifden eine Menge Montbretientöpfe für den hinteren Garten gekauft, die natürlich in die Erde sollen... Also ist Gartenarbeit ein sicherer Teil des Tagesprogramms...wie jeden Tag bisher!



Ich beteilige mich so gut ich kann - aber es ist nicht besonders viel, was ich an Arbeitskraft beisteuern kann und so ziehe ich mich auf meinen Lieblingsplatz am Fenster des kleinen Zimmers zur Küste zurück, von wo aus ich den Blick in die Weite habe und schreibe... 


3.9.2014

Wieder haben wir lange geschlafen und ich staune, denn in Berlin konnte ich in den letzten Wochen oft nur mit Hilfe von Schlaftabletten Ruhe finden...  

Es ist wieder ein eher grauer Morgen und wir frühstücken zur Abwechslung in der Küche, da wir auf Mattthew warten, der sicherlich lieber hier mit uns sitzt. Er erscheint pünktlich und zieht die leere Mülltonne hinter sich her, die hier schon sehr früh geleert wird (was uns noch immer erstaunt, denn Frühaufsteher sind die Iren nun wirklich nicht und wir wissen nun auch weshalb:  der Tag muß Zeit haben, sich zu entfalten. Vorher lohnt das Aufstehen nicht :) Hans-Jürgen möchte mit Matt die noch ausstehenden Arbeiten, die Fechine sozusagen hinterlassen hat, besprechen, aber wir schweifen natürlich ab in alle möglichen Bereiche. Matt ist ja besonders hart von der Flut getroffen worden und noch immer ist er dabei, die riesigen entstandenen Schäden zu beheben. Dies Unwetter ist immer wieder Thema. Es hat wirklich Wunden hinterlassen, die nicht so schnell zu heilen scheinen.
Matt berichtet, wie busy die Straße im Sommer gewesen sei und vor allem schüttelt er sein weißes Haupt, wenn er über die Radfahrer spricht. Er nennt die schmale Küstenstraße ¨suicide road¨ in Bezug auf ihren Sport und es hat wohl auch einige schwere Unfälle mit Radfahrern gegeben.  Es sind ja aber längst nicht mehr nur Touristen, die sich auf diesen völlig ungeeigneten Straßen mit dem Drahtesel in Gefahr begeben,,sondern auch Irland hat das Fahrrad entdeckt! Wir befürchten, dass die Fahrradindustrie da in erster Linie eine Marktlücke geschlossen hat und hoffen wirklich, dass dieses Vergnügen wieder abebbt, denn alternativ wäre  es, die Straßen zu verbreitern, was den Zauber dieser Küstenstraße und vieler anderer kleiner Straßen rauben würde.... Wer weiß, auf welche Gedanken man hier noch kommt.
Jedenfalls ist es kurzweilig mit Matt und wir staunen -wie schon am Vortag, als  ein anderer Nachbar Torf brachte und (es geht gar nicht anders hier!)  auf einen ausgedehnten Schwatz mit uns vor dem Haus stehen blieb - dass wir diese so besondere Sprache, die hier gesprochen wird und kaum mehr an ¨Englisch¨ erinnert, doch relativ gut verstehen können!  Als unser Nachbar meinte, unser Englisch sei sehr gut, hätten wir beinahe geantwortet, dass man das von seinem nicht gerade sagen könne... Wir scheinen uns an diese Aussprache tatsächlich mehr und mehr gewöhnt zu haben, was natürlich sehr hilfreich ist, denn so können wir mit den ¨ einfachen Menschen¨ sprechen und ihren Geschichten lauschen!
Als Matt und Hans-Jürgen sich an die Arbeit im Garten machen, hinterlässt Matt in der Küche einen so starken Torfgeruch, als hätten wir gerade am Feuer gesessen:  Wunderbar!  



Auf unserem Weg nach Clifden sahen wir am Vortag ein Schild, ,das uns stutzen lies und ein wenig irritierte: ¨Caution Funeral¨ (Achtung -Beerdigung). Am heutigen Tage erfahren wir seine Bedeutung, denn kurz vor Clifden, am Abzweig zum Friedhof, kommt uns ein Trauerzug entgegen:  Hinter dem Wagen mit dem Sarg, der durch die Glasscheiben zu sehen ist und der im Schritttempo fährt, geht zunächst eine Frau, mittleren Alters in ungewöhnlichem Outfit:  sie trägt einen blauen, kurzen Regenmantel, unter dem ein bunter Rock hervorschaut und Gummistiefel. In der Hand einen Regenschirm. Wir halten an und sie schaut zu uns herüber und ihr Gesicht spiegelt diese absolute Verlorenheit, die uns beide in Tränen ausbrechen lässt!  Wie sehr erinnert sie an unsere eigenen Gefühle!
Eine kleine Gruppe schwarz gekleideter Trauergäste läuft hinter hier, gefolgt von einer schier endlosen Schlange an Autos - Trauergäste und auch Touristen, die sich nun gedulden müssen! 

Den Friedhof suchen wir ein paar Tage später auf. Ein sehr schön gelegener Ort mit einem kaum mehr zugänglichen alten Friedhof und dem neuen, der - wie meist - schmucklos und nicht sehr gepflegt ist.. Im alten Teil der Friedhöfe übernimmt die Natur selbst die Gestaltung, in dem die Gräber - meist mit Montbretien - überwuchern und nur noch die alten Steine herausragen!
Dieser Teil Clifdens ist offenbar auch einer der, in dem die besser verdienende Schicht lebt. Sehr schöne Häuser, gepflegte, große Gärten. Auch diese Straße endet an einem Pier. 


Hans-Jürgen macht sich an die Pflanzarbeiten und nach kürzester Zeit prangen in meinem Blick auf den Bog etliche Montbretien, deren leuchtend orange und gelbe Blüten bunte Flecken vor die Berge in der Ferne zaubern. Eine wirkliche große Verbesserung an einer Stelle im Garten, an der unsere Vorgänger hier ihren Müll entsorgt haben und wo wir im Juni auf einen Teppich stießen, der überwachsen ist - und den wir liegen ließen. Es ist der ¨wilde Teil¨ des Gartens, der nicht begangen wird, sondern in die Senke des Grundstücks führt, in der der septic tank steht und wo wachsen kann und soll, was sich dort wohlfühlt.. Im Zweifel eben auch ein Teppich :)  Wir können nicht jede Ecke dieses großen Gartens kultivieren und wir wollen es auch nicht. Wir haben keinen ¨Garten¨ im deutschen Sinne.. Es ist ein Naturgarten, den wir an einigen Stellen zu zähmen versuchen...was schon schwer genug ist, wenn ich an das Unkraut denke, das noch gezupft und herausgerissen werden will.... Wir haben Zeit!



Fortsetzung folgt.... Habt ein wenig Geduld,
die nächsten Tage sind voller Aktivitäten :)
Aber dann bin ich
zurück!
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen