Dienstag, 6. Oktober 2015

"Herztage" 9/2015 VII



Summer Rain

All night our room was outer-walled with rain.
Drops fell and flattened on the tin roof,
And rang like little disks of metal.
Ping!—Ping!—and there was not a pin-point of silence between
    them.
The rain rattled and clashed,
And the slats of the shutters danced and glittered.
But to me the darkness was red-gold and crocus-colored
With your brightness,
And the words you whispered to me
Sprang up and flamed—orange torches against the rain.
Torches against the wall of cool, silver rain!


Amy Lowell, 1874 - 1925

 21. September


...You have to look at it from the bright side...   das muß man sich immer wieder einmal ins Gedächtnis holen, vor allem dann, wenn man den vierten Tag ohne Heizung ist - und  das Wetter nicht gerade sehr unterstützend.  Heute scheint die Sonne endlich, aber das Haus ist sehr ausgekühlt und noch ist niemand gekommen!
Der andere, passende Satz dieser Tage ist.... ¨ you have to make the best out of it...¨ und daran haben wir uns gehalten.


Freitag nutzten wir zu einem Ausflug nach Clifden, um auch Astrid etwas vom ¨ Arts Festival¨ zu zeigen. Die ganze Stadt verwandelt sich in ein Museum, denn in jedem Geschäft, Büro, Restaurant, Café oder Pub wird Kunst gezeigt!  Ein wunderbares Ereignis Ende September!

Mit Astrid lassen sich die Tage auch schön "vertrödeln". Sie kommt immerhin auch zur Erholung ihrer anstrenden Arbeit in Camphill..  Die Geschwister machen einen Regenspaziergang zum Strand, ich habe Zeit zum Schreiben... 


Samstag beschlossen wir, der sich ausbreitenden Kälte im Haus zu entfliehen und einen Ausflug  nach Letterfrack und Renvyle zu unternehmen.  In Letterfrack möchten wir uns auf die Suche nach dem Friedhof der ¨ Kinder von Letterfrack¨ machen und Astrid möchte auf alten Spuren, den Strand in Renvyle finden, an dem sie vor Jahren Urlaub machte. 
Obwohl das Wetter nicht sonnig ist,  genießen wir die einsame Straße durch die Boglandschaft, die heute in düsteren Brauntönen eine ganz eigene Schönheit entfaltet...  



 Hier sind wir zu Hause :) 
 

In Letterfrack essen wir eine heiße Suppe, Hans-Jürgen endlich die Austern, die beim letzten Mal hier noch nicht geliefert waren und dann pflücken wir drei uns eine Hand voller Montpretien und steigen die Straße hoch zum versteckt liegenden Friedhof....Die Schule hieß: "St. Joseph Industrial School Letterfrack" und bestand von 1887 und erst 1974 wurde sie geschlossen!





Wir wissen nicht, ob dieser Ort bereits von der Kirche / dem Internat damals als Friedhof diente, oder ob er später als Friedhof und Gedenkstätte angelegt worden ist.  Verwunschen ist der Laubwald  und dann steht man vor einem Gittertor an dem zwei Texte auf Tafeln an die erinnern, die hier liegen.
Man fühlt sich wie in eine Wolke von Trauer und Entsetzen gehüllt, wenn man diesen kühlen, feuchten Ort betritt. In zwei Quadraten, von grauen niedrigen Mauern eingefasst liegen in geraden Reihen vielleicht 80-100 Grabstätten.  Herzen, auf denen die Namen und das Alter der Jungen notiert ist, die hier liegen. Sicher sind es nicht ihre  ursprünglichen Gräber, denn viele werden überhaupt kein Grab bekommen haben, sondern in der Erde verscharrt worden sein.
Man hatte sie mißbraucht, gequält, gedemütigt und ermordet!   
Es gehört dieser Ort zu den finstersten Kapiteln irischer (katholischer) Geschichte und man fragt sich immer wieder, wie all dies geschehen konnte... Für uns ist es wichtig, uns auch die Schattenseiten der geliebten Insel anzuschauen. Alles gehört zusammen...LICHT UND SCHATTEN!
Und vielleicht ist das Eine so hell - weil das Andere so dunkel war... Ich weiß es nicht!

 “Many of these brothers should be presumed to be practitioners of the dark arts. Only the devil could have been inspired to inflict such miseries on defenceless waifs; only darkness have conspired a whole community to turn aside from the wailing of hundreds of children through those dark decades of its existence. Some of the dreadful scenes are reminiscent of the scenes depicted in medieval tapestries in which the excesses of hell are defined.”

Einer der Schüler, Micky Finn, hat ein Buch über sein Grauen aus dieser Zeit geschrieben, aus dem das Zitat stammt....


Wir gehen - jeder für sich - schweigend durch diese Grabreihen und legen an jedem der Herzsteine eine Blume nieder... Sie reichen nicht aus und das schmerzt! Ich möchte  am liebsten auf jedes Grab einen Strauß leuchtend schöner Blumen legen. Wir lesen die Namen - jeder steht für ein Leben, das - meist im Alter zwischen 10 und 16 endete.. Es waren Jungen ohne Eltern, solche, die freiwillig durch die Eltern abgegeben wurden - alle in der Hoffnung, hier einen besseren und sicheren Platz im Raum der Kirche zu haben. Es ist unvorstellbar, was hier geschah und nichts auf der Welt kann dies ¨ erklären¨.. Hier zu sein ist, als würde man - tief in sich - die Schreie dieser Kinder hören.  Es bricht einem fast das Herz.

The Gloaming - Saoirse

Nach diesem Besuch fällt es schwer, zur Normalität zurück zu finden.  Wir machen uns nach einem Cappucchino - auf nach Renvyle und dort am Strand spüre ich, den verlassenen Ort noch immer in mir;   während Astrid im eiskalten Wasser schwimmt laufen wir ein Stück entlang der Küste. Die Ebbe gibt eine kleine Insel frei.. Ich fühle mich müde und meine Beine sind schwer... 

Astrid kocht hier für uns. Sie hat eine große Zucchini aus dem Garten mitgebracht, die sie gefüllt in die Backröhre schiebt. Am Torffeuer und Dank des Heizlüfters sind Küche und Wohnzimmer warm und die Heizdecken können heute wieder die gewohnte Wärme im Bett verbreiten!
Da Wochenende ist, werden wir noch weiter auf Joe warten müssen....
Ich gehe früher zu Bett und überlasse den  restlichen Abend den Geschwistern, die sich ja selten genug sehen  und die das Thema gemeinsame Kindheit aufgegriffen haben....

In der Nacht stürmt es und es beginnt, heftig zu regnen.... Und es regnet den gesamten Sonntag weiter... Es gibt nicht viel, was wir unternehmen können.  
Die Küche ist mit dem kleinen Heizer schnell warm und wir dehnen das gemütliche Frühstück aus. Es ist wirklich schön mit Astrid, wir lachen viel, wir erinnern uns oft:  Florian lebte immerhin fast vier Jahre bei und mit ihr in Camphill und sie erzählt uns auf dem Weg von Flannery nach Hause, dass sie eine der schönsten und größten Sternschnuppen zusammen mit Florian gesehen habe. Sie saßen im Auto und redeten. Es gab Probleme in beider Leben und sie nutzten diesen Moment der Stille, um sich auszutauschen... Und da fiel diese riesige Sternschnuppe vom Himmel. ¨Sie hatten einen richtigen Schweif - fast wie Sternschnuppen auf Bildern gemalt werden. Ein magischer Augenblick und sie teilten ihn! 
Sunday - and still rain!  Das Haus ist wirklich kalt inzwischen und der kleine Heizer wandert von Raum zu Raum, wo er gerade gebraucht wird.  Wir schauen ins Programm des ¨ Arts Festivals¨ und lesen Bill Wheelan and Riverdance und beschließen, um 13 Uhr in die Christ Church zu fahren, in der Annahme, dort eine Tanzperformance erleben zu können.. Leider ist es dann doch nur ein Vortrag von Bill Wheelan und der reizt uns nicht wirklich!

Über die ¨Bog Road¨ fahren wir nach Roundstone und wärmen uns wieder mit einer Suppe auf.. ¨  ¨  It never happens on a Tuesday¨  sagt lachend die Eigentümerin, als ich ihr von der ausgefallenen Heizung im Haus erzähle!
Eine Regenpause nutzen die Geschwister für einen Walk zum Strand, der dann doch in einem heftigen Schauer und nassen Köpfen endet.. Ich mache in der Zwischenzeit eine umständliche Haarwäsche mit warmem Wasser in einer Schüssel, das ich mir über den Kopf giesse...  :)
Gegen 16 Uhr macht sich Astrid auf den Heimweg. Bis Tipperary braucht sie ca. 4 Stunden. Wir werden uns Weihnahten in Berlin wiedersehen.

22. September
Ein kleines rotes Auto nähert sich langsam und zwei noch relativ junge Frauen steigen aus, begrüssen Hans-Jürgen, der im Garten arbeitet, freundlich und fragen, ob er zur Familie von Susan oder Dennis gehöre. Sie erzählen, dass sie gerade vom ¨Arts festival¨ kommen und hier im Haus schon mit Susan vor Jahren musiziert hätten und die Athmosphäre, die sie um sich verbreitete, sehr genossen hätten. Das Haus gefällt ihnen sehr gut, ansehen möchten sie es sich aber nicht, sie scheinen ein wenig in Eile zu sein.   Sie bemerken auf alle Fälle noch die Herzsteine am Haus, an die sie sich auch aus der Begegnung mit Susan und Dennis erinnern. Daran knüpft HJ an und erzählt, dass diese Steine auch für uns eine wichtige Bedeutung hatten, als wir uns diesem Haus näherten!

23. September

Wieder einmal warten wir!  Gestern waren es Fechine und Eric. Fechine kam tatsächlich und brachte den Bauschaum, um das Loch im Badezimmer zu schließen!  Eric, der uns eine neue, groößere Wandheizung einbauen soll,  vertröstete uns auf den Abend und lies nichts mehr von sich hören.. Jetzt wollte er eigentlich längst da sein.. Aber so ist es.. Wir erinnern uns an eine der ersten Verabredungen mit Bridgit, die um 11 Uhr sein sollte - und schließlich gegen abend stattfand!  Bridgit und Martina haben sich für heute Abend angemeldet, um die letzten Dinge mit uns zu klären, die für  immerhin noch 5 Vermietungen bis November, offen sind. Dann endet unser Arbeitsverhältnis.


Der gestrige Sonnentag hat uns für die kühlen, nassen Tage voll entschädigt.  Nach einer Nacht mit einem Sternenhimmel, wie ich ihn selten schöner gesehen habe, weckte uns die Sonne durch die Vorhänge...und endlich wieder Fühstück im ¨Sunroom¨. Das war diesmal nicht sehr oft möglich und das Frühstück im Garten wurde durch die Midges vereitelt. Wäschetag!  Wir amüsieren uns über die Begeisterung an der Wäschespinne, die noch immer anhält und als sie sich dann voll beladen im Wind dreht - sind alle Bedenken gegen sie einfach und für immer ausgeräumt.
Das Wetter schlägt Kapriolen.. Wir liegen in den Liegestühlen im ¨Swimmingpool¨ und mit einem Mal setzt ein ganz feiner Regen ein... Man spürt ihn kaum, sieht ihn aber, wenn man gegen das Licht schaut und liegt man lange genug darin, wird man auch naß :)   Am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen ....  blue sky and soft rain!  Das gibt es mit Sicherheit auch nur hier!
Wir schauen den wunderbaren Wolkenspielen zu:  ¨Schau mal, ein Hase¨ - ¨ Dort, ein Schaf¨ - Ïch hätte es für den Berliner Bären gehalten¨... Einfach ein Schauspiel, an dem man sich nicht sattsehen kann - von den vielen Herzen am Himmel völlig abgesehen.  Wenn es wirklich HERZTAGE IN IRLAND  im wahrsten Sinne des Wortes gab, dann waren es diese Tage jetzt im September!  Und die "Dramatik" am Himmel ist einfach nicht zu überbieten!!!





Auch auf unserem Weg später in den bog, wo wir noch einmal Brennholz sammeln und zwischen Schafen mit wunderschönen Blicken die Weite dieser Landschaft genießen, trete ich unentwegt auf Herzen, die diesen Weg zu pflastern scheinen.  

Ich denke gar nicht, dass ich für diese Zeit eine Art ¨Entschädigung¨ brauche... Es sieht fast so aus, als wäre ¨jemand¨ dieser Meinung..  Es war alles etwas anders als wir es bisher erlebt haben.. Aber es war nicht schlechter oder besser.  Es  ist eine andere Zeit, in der wir seit einigen Wochen/Monaten leben. Und ich konnte nicht so tun, als würde mich das hier nichts mehr angehen. Ich war öfter in den Nachrichten, ich las mehr zu dem, was in Deutschland - aber auch in Europa mit den Tausenden von Flüchtlingen geschieht, die sich - hauptsächlich aus Syrien, wo der Krieg nach wie vor tobt, aufmachen in eine sichere Zukunft.  Die Bilder und Berichte treiben mir immer wieder Tränen in die Augen und manchmal ist mein Herz auch hier in aller Schönheit schwer.  Vielleicht macht mich dies alles noch dankbarer, einen so absolut friedvollen Ort zu haben, an den wir immer wieder Mut und Kraft sammeln können.

 Bild: Jimmy Lawlor
...."Hier in Irland, wo Eleganz, perfekte Esthetisierung und Stilsicherheit vollends fehlen, dominieren andere Werte:  Improvisation, Authentizität, Dreiviertelperfektion und die Gelassenheit" (Markus Bäuchle, 111 Gründe Irland zu lieben)
Inzwischen ist Eric da und damit beschäftigt, die neue Wandheizung einzubauen. Wir hoffen sehr, dass nun alles klappt, nachdem er mit falsch gelieferten Teilen gerade noch einmal nach Clifden fahren mußte :)  Die ¨Dreiviertelperfektion¨  (ein so wundervoller Begriff und so unglaublich passend für unsere Erfahrungen)  hat bereits zugeschlagen. Nun müßte eigentlich doch einmal alles erfolgreich verlaufen!

 Wir sind bereits beim Einräumen und damit beginnt die Abschiedsstimmung. Meine Weihnachtsgeschenke für Hans-Jürgen, die ich hätte hierlassen können, werden nun mitgenommen (wir werden - entgegen unserer Absicht, erst im März wiederkommen) und ich sehe diesem Fest, das mir im letzten Jahr so sehr das Herz brach, etwas gelassener entgegen.  Wir müssen neue Rituale finden, auch in Berlin. Weihnachten, so,wie andere Weihnachten feiern, ist für uns ausgeschlossen.  Im Moment denken wir, dass Hans-Jürgen in der Familie seines Sohnes mit den Enkelkindern feiern sollte und ich alleine bleibe. Ich gaube, es geht mir besser, wenn ich mit dem Schmerz, den Erinnerungen, der Wehmut und Sehnsucht alleine bin.  Ich kann Florians Briefe lesen - ich kann den Abend aber auch einfach auszulassen versuchen - ihn überspringen,  einen Abend wie jeder andere Abend zu sein lassen versuchen... Wer werden sehen!  Es ist immer ein Experiment - wie dieses Leben zum Experiment wurde: die Verwaltung der Abwesenheit von Florian!

..."As the day ends I sit on the hill, watching the sun set in the sky. I'm in the warm breeze and close my eyes reflecting, proud I made it through another day unharmed I sigh, content smiling. I open my eyes and find myself amongst the stars ..."
- Humming Bird -



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