Donnerstag, 29. September 2016

Diary September 2016 (5)



                                       



12.09.2016

..."Ruinen sind Tempel der Abwesenheit. Wir hinterlassen unsere Gegenwart an allem, was wir berühren, und überall dort, wo wir wohnen. Diese Gegenwart kann nie wieder getilgt oder widerrufen werden; die Aura besteht fort. Gegenwart hinterläßt einen Eindruck im Äther eines Ortes. Ich stelle mir vor, dass der Tod eines Tieres und Menschen eine unsichtbare Ruine für die Welt hinterlässt. Je älter die Welt wird, desto mehr füllt sie sich mit den Ruinen verschwundener Gegenwart.
Jede Ruine bewahrt die Erinnerung an die Menschen, die sie einst bewohnten....Eine Ruine ist nie ¨leer¨. Sie bleibt stets ein lebendiger Raum der Abwesenheit....
Umso ergreifender ist es, wenn eine seit langem unbewohnte Ruine die Echos der Verschwundenen noch immer in sich bewahrt. Diese unausgesprochene Gegenwart nachhallender Berührung, die sich an verlassenen Stätten bemerkbar macht, fängt Hölderlin mit den Worten ein:

Wenn gleich ist Nacht und Tag,
Und über langsamen Stegen
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

Der verlassene Ort ist schwer von der Gegenwart der Abwesenden, die einst dort vorübergegangen sind.

John O'Donohue
Echo der Seele, S. 298


Warum ich diese Zeilen an den Anfang meiner Eintragung heute stelle, wird sich später erklären...
Zunächst ein kleines ¨ update¨ über die Tage, die zum Glück noch immer sehr langsam verrinnen. Vielleicht ist das Wetter ein Grund: Es sind stürmische und nasse Tage und gestern war einer der Tage, an dem es noch nicht einmal den leisesten Ansatz von Hoffnung auf Besserung gab.
Seltsam ist, dass uns dies überhaupt nicht stört:  Ich habe mir vor 2 Tagen einen scheußlichen Schnupfen geholt, als wir - eine Regenpause nutzend, an den Strand gingen, um das sanfte Abendlicht einfzufangen und uns zu bewegen!  Der Wind riß förmlich an uns und wir mussten uns ihm entgegenstemmen... Es ist kühler geworden und das alles zusammen hat wohl ausgereicht:  meine erste Erkältung in Irland!
So haben wir ausgedehnte weitere Lesetage eingelegt!  


Mein ¨Mädchenzimmer¨ ist das geschützteste und wärmste im Haus und ich habe es genossen, dort unter den Wolldecken zu liegen, den Blick ab und zu nach draußen in den Himmel zu richten, um zu sehen, dass ich weiterhin nichts verpasse! 
Hans-Jürgen konnte sich gut anschließen und unternahm aber kleine Ausflüge ohne mich.  Er stellte dabei fest,  dass sich die Gezeiten in diesen Tagen nicht an die ¨Zeit¨ halten und sein Versuch, auf die Insel zu gehen scheiterte am hohen Wasserstand.
Unsere Gezeitenuhr ist also im Moment nicht zu gebrauchen.


Clifden bereitet sich auf die ¨Arts Week¨ vor und wir haben uns zwei Konzerte ausgesucht, die wir besuchen wollen. Beide mit traditional music.

Eine schöne Abwechslung gestern waren ein nachmittäglicher Ausflug nach Ballynahinch zu Kaffee + Scones am Kamin und eine Abendeinladung zu Claudia + Paul zum Essen.
Das Hotel scheint auch um diese Zeit noch gut besucht zu sein. Der Ballynahinch River ist kurz davor, über seine Ufer zu treten..  Die Wiesen stehen unter Wasser und Ausflüge in den Bog verbieten sich bei diesem Wetter ohnehin.  Nur die Kühe sind unermüdlich um uns herum auf den Weiden und scheinen immer wieder Wege im Bog zu finden, auf denen sie nicht ¨stecken bleiben¨.

Bei strömendem Regen fuhren wir  abends das kurze Stück zu Pauls Haus und wurden von beiden und den Kindern, Maya und John, herzlich begrüßt. Das Haus ist nicht sehr groß, aber sehr gemütlich und sehr ansprechend.  Wir saßen in der schönen Küche mit dem alten kitchendresser von Pauls Mutter, den Claudia weiß gestrichen hat. Blaues Bauerngeschirr hebt sich sehr hübsch ab und insgesamt ist das Haus gepflegt und liebevoll eingerichtet!
Wir haben mit Claudia besprochen, ihren Job auf unser Haus auszuweiten und sie hat sich nun entschieden, dieses Angebot anzunehmen!  Wir sind froh, sie zu haben, denn sie hat das Auge, das nötig ist, dieses Haus gut und trocken über die Monate zu bringen, in denen niemand hier wohnt!
Es wird ein munterer, schöner Abend mit Meeresfrüchten, die Paul selbst ¨ erntet¨. Er fischt, wenn er die Zeit findet, gerne und überhaupt ist er sehr glücklich, im Moment nicht nach England,  der Arbeit hinterherreisen zu müssen.  Hier und dort ein kleiner Job und die Attraktivität von Arbeit in England ist ohnehin für die Iren durch den schlechten Wechselkurs gesunken!


Bevor wir gehen, kaufen wir Claudia noch zwei ihrer hübschen kunstgewerblichen Objekte ab, die sie - je nach Zeit - aus Strandgut fertigt. ¨You are my first customers¨ meint sie freudig -und will uns natürlich die Objekte zum Geschenk machen!  Es ist wirklich so unglaublich, wie wenig auch sie ihre Arbeit ¨verkaufen¨ kann.. Da ist sie bei den Iren in bester Gesellschaft!
Wir schauen noch verschiedene Wetter-Apps an, um uns zu informieren, was in den nächsten Tagen auf uns zukommt -  und es sah nicht gerade ermutigend aus!
Egal...Es war ein schöner Abend und mit Claudia + Paul haben wir sehr liebenswerte und fröhliche Menschen in unserem irischen Leben!
Von Cornelia und Peter kam  nur einlieber Gruß. Sie scheinen die kurze, kostbare freie Zeit, die sie hier haben für ihre Zweisamkeit zu brauchen, was wir gut verstehen können!


Heute morgen eine schöne  Überraschung: überwiegendend blauer Himmel und der starke Wind hat nachgelassen!  Was für eine unerwartete Freude.
Endlich erstrahlt die Landschaft um uns, vor allem die Küste, wieder in ihren gewohnten Farben.  Wir sind sofort bester Laune und beschließen, erst einmal die 80 Narzissen-Zwiebeln, die wir aus Galway mitgebracht haben,  entlang der Auffahrt in die Erde zu bringen. Wir stellen uns vor, im März von einem gelb blühenden Narzissensaum empfangen zu werden :)


Mir ist nach Ausflug, nach Bewegung. Fast drei Tage war ich überwiegend im Haus - außer den kleinen Ausflügen nach Clifden oder Roundstone.

Einer der Strände, der uns besonders gefallen ist der von Errislannan. Es ist der Strand der ¨ runden Steine¨ und am Pier steht das beeindruckende alte Manor House, das weithin zu sehen ist. Wir sahen auf Haus und Strand von der Lower Skyroad vorgestern - ebenfalls ein schöner Ausflug bei immerhin trockenem Wetter!

 Aber dieser Strand ist besonders und übt eine  besondere Faszination auf mich aus. Meine Augen sind ständig auf der Suche:  nach Formen, Farben, Mustern, nach Herzsteinen, aber auch flachen, kugelrunden oder eiförmigen.. Alles ist hier vertreten und am besten setzt man sich einfach hinein in diese Stein-Schönheit und lässt Augen und Hände suchen!
Hans-Jürgen erkundete die Fortsetzung des Strandes, der über ein Stück Wiese, auf die man jedoch erst einmal klettern muss, gelangt. Mir war es zu nass und ich zu unsicher auf den Füßen und so verweilte ich in dieser ¨Steinlandschaft¨, die mir nie langweilig werden wird.



 Einen Augenblick lasse ich den Gedanken zu, Florian mit seinen Kindern hier an diesem Ort spielen zu sehen:  ¨look Dad, what I found¨ - und Dad kann gar nicht genug über die wunderbaren Formen der Steine und ihre Farben staunen.  Ich sehe sein überglückliches Gesicht, gebräunt von Sonne und Wind und seine langen, blonden Haare, die dieses schöne Gesicht einrahmen. Sie sind lockig und dicht und zumindest eines der Kinder hat sein Aussehen!

Ich muss die Bilder wegwischen, mich zurückholen in die Gegenwart, die immer ohne dieses Erleben bleiben wird!  Es schmerzt sehr... Und ich suche Trost im Rauschen der Wellen des Atlantik,  die hier über den heranrollenden Steinen, eine eigene Melodie haben.. 

Ich denke an ¨Zeit¨ - daran, dass ich schon vor Hunderten von Jahren hier hätte sitzen können und der Blick wäre der gleiche gewesen!  Das Gefühl habe ich so oft hier:  Zeit spielt nicht annähernd die Rolle, wie bei uns in einem so viel schnelleren und damit anstrengenderem Leben.  Alles ist verlangsamt und manchmal schaue ich wie durch ein Prisma...  Ich brauche nicht viel. Ich brauche keine ¨Animation¨, keine Sehenswürdigkeiten,  alles hier ist sehenswert, wenn man die Sinne öffnet und im Detail liegt so unglaublich viel Schönheit!
Bei diesem Gedanken durchströmt mich eine tiefe Ruhe und die Gelassenheit, die ich hier erlebe - und nur hier - kommt langsam zurück.  Alles hat einen Sinn, auch, wenn ich ihn nicht verstehen kann.  Ich mache mir nicht mehr die Mühe, nach ihm zu suchen. Ich habe akzeptiert, was ist und ich versuche, dankbar für das zu sein, was ich erleben darf!
Hans-Jürgen holt mich aus meinen Gedanken und wir machen uns auf den Weg zurück. Drei  Herzsteine wiegen schwer in meiner Manteltasche, aber ich freue mich über sie. Sie kommen an Florians Platz im Haus!



 Nur eine Ecke weiter hatte ich bereits an der Anfahrt ein altes Cottage gesehen, das in dichten Fuchsienhecken zu versinken drohte. Es hat mich neugierig gemacht und wir halten an und sehen, dass die Tür offensteht.




Was uns dann erwartet, beschäftigt mich noch immer und es hat mich nach den oben zitierten Zeilen von John O'Donohue suchen lassen.  Er war es, von dem wir lernten, dass Ruinen, alte Gebäude die Seelen derer, die darin gelebt haben, in sich weitertragen.  So haben wir es ja auch hier in unserem Haus angenommen und versucht, uns entsprechend auch der Geschichte zu nähern.



Dieses Cottage nun war in dem Zustand belassen worden, den es nach dem Tod seines letzten Bewohners hatte und das seit vielleicht mehr als 10 Jahren!
Ich weiß nicht, wie lange ein Haus durchhält, das nicht mehr bewohnt und umsorgt wird... Hier stand alles noch an seinem Platz und es scheint niemand etwas bewegt zu haben!

In der Küche der Teekessel auf der alten Kochmaschine, der Tisch mit Sets und einem verblichenen Tuch. Besteck und Geschirr in den Schränken - unberührt, wie es scheint. Und so gehen wir von Raum zu Raum - die Böden naß und durch die Fenster wächst der Efeu. In der Küche stehen die Putz-  und Waschutensilien - als hätte jemand  sie gerade schnell verlassen, um vielleicht Kräuter im Garten zu holen.
Pfannen, Kessel, Eimear, alles steht herum und das in aufgeräumtem Zustand... Es ist fast nicht zu glauben.
Auf einer Kommode stehen Fotos von Kindern, vielleicht waren es die Enkel, vielleicht die eigenen Kinder und aus einem Gesundheitsausweisschließlich hervor, dass die letzte Bewohnerin, die Mary King hieß, im Jahr 1956 32 Jahre alt war... Ein Zeitungsausschnitt von 2007 lässt annehmen, dass dies das Jahr war, in dem sie starb. 


Wir bewegen uns wie in einem Museum -  und wissen doch, dass hier Menschen gelebt haben und das zu ¨ unserer Zeit¨... Und niemand scheint sich jemals um dieses Erbe gekümmert zu haben.  Vielleicht leben die Kinder in den USA oder in Australien und haben sich nicht die Mühe gemacht, zum Begräbnis der Eltern zu kommen.. Sie scheinen sich nicht für das ¨Haus in  Irland¨ zu interessieren - oder es waren zu viele Kinder, die sich nicht einigen konnten, was mit diesem Erbe geschehen soll. Das ist das Schicksal sehr vieler Häuser in Irland, die letztlich zu Ruinen werden.


Ich mache Fotos von einigen Dingen, die mich besonders berühren... Und wir werden an diesen Ort noch einmal zurück kommen!  Fast möchte man Blumen niederlegen, wenn nicht das Haus bereits im roten Blütenmeer der Fuchsien stünde.

Wir überlegen beide, wo in der Welt, wäre es möglich, ein Haus über diese lange Zeit bei geöffneter Tür sich selbst zu überlassen, ohne dass Vandalismus oder zumindest Diebstahl über den Ort hereinbrechen und ihm die Würde nehmen würden.  Uns fällt keiner ein. Auch das ist Connemara!


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